„Nicht so, ich zeig’s Ihnen. Sie legen den Löffel auf das Glas, in dem der Absinth schon wartet. Dann legen Sie ein Stück Zucker auf ebendiesen Löffel, dessen eigenartige Form Ihnen sicher nicht entgangen ist. Dann gießen Sie sehr langsam Wasser auf das Zuckerstück, das zergeht. Ein fruchtbarer sacharinhaltiger Regen tröpfelt ins Elixier und macht es wolkig. Gießen Sie weiter Wasser hinzu, es perlt und perlt – und so weiter, bis der Zucker zergangen ist, aber bevor das Elixier eine zu wässrige Konsistenz erreicht.“
Aus Der Flug des Ikarus von Raymond Queneau.
Peinlich berührt krame ich beim Lesen in meinem Gedächtnis. War das damals vor 16 Jahren wirklich Absinth, was ich glaubte zu trinken? Es schmeckte nach Anis, war ziemlich hochprozentig, es waren Zuckerwürfel auf Löffel im Spiel, die Verlockung des Verbotenen schwebte in der Luft, aber statt Wasser nutzten wir Feuer.
Nicolas Giger, Absinth-Kenner und Vater der sogenannten Absinth-Straße, verzieht das Gesicht ob meiner Schilderung. Ruhig hebt er sein Glas, riecht am trüben Inhalt und nimmt einen Schluck Absinth, den wir hier gerade im Wald bei einer Wanderung gefunden haben und mit frischem Quellwasser verdünnt haben.
„Oui… das war Absinth, was sie tranken, aber sie haben ihn mit dem karamellisierten Zucker verschandelt und den feinen Geschmack vernichtet. Dieses Feuer-Ritual ist in den 1990er Jahren von einer tschechischen Brennerei erfunden worden, um das Getränk attraktiver zu machen. In der Schweiz trinkt man Absinth nur mit Wasser verdünnt, auch ohne Zucker, wie es die Franzosen traditionell tun.“
An der Fontaine à Louis bei Môtiers, einem Dorf im Jura & Drei-Seen-Land in der Schweiz, wird seit Jahrzehnten ein Fläschchen Absinth zwischen den Baumwurzeln versteckt, nur Eingeweihte kennen das Geheimnis. Der Brauch stammt aus der Zeit der Prohibition.
Das Versteck am Brunnen
„Wissen Sie“, fährt Nicolas Giger fort, „der Absinth stammt genau von hier, aus dem Val-de-Travers. Hier ist seine Wiege, nicht in Frankreich, wie man fälschlicher Weise glaubt.“
Das ist einer meiner Gründe, hierher ins Jura & Drei-Seen-Land zu reisen, um dem Mythos Absinth auf die Spur zu kommen.
Zwischen Nadelbäumen und Buchen spazieren wir durch den Wald, der im Jura vor allem durch seine riesigen Fichten auffällt. Die wichtigsten Kräuter für die Absinthherstellung wachsen hier im Wald, wie Wermut, Zitronenmelisse, Pfefferminze. „Der Absinth besteht nicht nur aus Wermut, sondern aus einer Vielzahl von Kräutern. Jede Brennerei hat ihr eigenes Rezept“, erklärt uns Herr Giger weiter. Es ist Hochsommer, recht heiß und die Wanderung durch den Wald bietet uns eine angenehme Frische und Schatten, der perfekte Ort um Herrn Giger zu lauschen.
Das erste Absinthrezept stammt von einem in Neuchâtel ansässigen Arzt, Pierre Ordinaire, aus dem Jahre 1792. Er hatte verschiedene Kräuter aus dem Val-de-Travers eingelegt, destilliert und nutzte das Produkt als Medikament gegen allerlei Krankheiten. Zuerst nur als Medikament erhältlich, gewann der Absinth wegen seiner angenehmen Trinkeigenschaft schnell an Popularität. Henri-Louis Pernod eröffnete 1805 eine Brennerei im französischen Pontarlier, ein paar Kilometer hinter der Grenze. Von dort machte der Absinth eine weltweite Karriere.
Ein weiterer Exportschlager aus dem Jura & Drei-Seen-Land ist der Tête De Moine, eine meiner Lieblingskäsesorten.
Das ist der Käse, der immer in diesen hübschen Hobelrosetten serviert wird. Seit über 800 Jahren wird er in Bellelay produziert. Übersetzt heißt er Mönchskopf, weil die Mönchsfrisur an den angehobelten Käseleib erinnert, erzählt man uns schmunzelnd beim Einkauf.
Der Tête de Moine ist älter als die Schweizer Eidgenossenschaft (1291). Bereits im 12. Jahrhundert wird er in Zusammenhang mit dem Kloster Bellalay erwähnt. Heute wird er in weniger als zehn Käsereien hergestellt.
Er ist einer der wenigen Schweizer Käse, die über eine geschützte Ursprungsbezeichnung AOP verfügen. Trotzdem gibt es viele illegale Kopien. Seit einiger Zeit versteckt man bei der Herstellung eine spezielle DNA, um die Fälschungen zu enttarnen.
Der Tête de Moine reift ein Vierteljahr auf Tannenbrettern. Serviert wird er nicht in Scheiben, sondern hauchfein geschabt. In der Manufaktur erzählt man mir eine nette Anekdote dazu: Die Mönche hätten nachts heimlich vom Käse gegessen, damit man das aber am nächsten Tag nicht sieht, haben sie den Deckel abgeschnitten und vom Laib geschabt.
Bewaffnet mit Baguette und einem Tête De Moine entscheiden wir uns spontan für ein Picknick am nahegelegen See Étang de la Gruère. Tiefgrüne Nadelwälder und Moor säumen den in sich verschlungenen See. In einer kleinen Lichtung setzen wir uns und genießen die Stille und das seichte Plätschern des Sees.
Der Étang de la Gruère ist ein gestauter Moorsee und ein Naturschutzgebiet.
Im 17. Jahrhundert wurde der Teich gestaut, um eine Mühle zu betreiben.
In etwa einer Stunde kann man gemütlich um den See spazieren.
Die Landschaft ist herrlich verwunschen.
Torfmoos, Moorbeeren, Heidebeer- und Rosmarinsträuchern wachsen am Ufer.
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