Es ist fast 8 Uhr, als ich aufwache. Draußen noch immer stockfinster. Erst als sich meine Augen an die Dunkelkeit gewöhnen, erkenne ich durchs Fenster die Umrisse der Fichten und Bergrücken am anderen Yukonufer, die die fahlen Strahlen des Mondes zeichnen. Ich schäle mich aus dem Schlafsack, schlüpfe in die Fleecehose und schlurfe im Schein der Stirnlampe über die Treppe runter ins Erdgeschoss.
Andys Cabin hat dort zwei Räume. Das Wohnzimmer, das nachträglich angebaut wurde, flankieren ein verschlissener Zweisitzer und ein ramponierter Recliner, ein Fernsehsessel, in dem Andy normalerweise den Morgenkaffee genießt und den Radionachrichten lauscht, wenn der Empfang mal halbwegs passabel ist. In einer Ecke steht ein runder Arbeitstisch, daneben stapeln sich zwölf Eimer mit Schraubdeckeln aus dem Baumarkt, die er mit Yukonwasser befüllt hat. Nachdem er ein Loch ins Eis geschlagen hatte. An der Wand hängt ein selbst gezimmertes Regal mit einer umfangreichen Auswahl an Gewehren verschiedener Kaliber für die Jagd oder um Bären zu vertreiben, die sich im Frühjahr hungrig seiner Hütte nähern. Rechts darunter die zwei Containerflaschen mit selbstgebrautem Bier, auf das er sich vor allem im Sommer nach einem langen, arbeitsreichen Tag freut. Komplettiert wird der Raum durch einen mächtigen Ofen aus Gusseisen. Wenn es draußen richtig kalt wird, muss Andy ihn zusätzlich befeuern, ansonsten reicht der Hauptofen in der Küche nebenan.
Ich blicke auf das Thermometer vorm Fenster, minus 10 Grad Fahrenheit, also nur minus 23 Grad Celsius.
Das ist warm für eine Region, die im Winter regelmäßig in Minustemperaturen von 40 Grad und darunter erstarrt. Trotzdem lege ich ein paar Scheite nach. Als ich vorgestern in Deutschland in den Flieger stieg, hatte sich der Körper an zweistellige Plusgrade gewöhnt und braucht wohl noch eine Weile für die Umstellung. Erstmal Kaffee, denke ich.
Normalerweise läßt Andy das heiße Wasser durch einen Filterhalter in die Thermoskanne tropfen, für mich hat er zusätzlich die elektrische Kaffeemaschine stehen gelassen. Ich lege den Schalter der Wasserpumpe um und zapfe so die Menge für acht Tassen aus dem Wassereimer unter der Spüle, in dem ein Schlauch steckt. Auch wenn der Aufwand vielleicht ein wenig größer ist, im Busch muss niemand auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten. Selbst Fernsehen und Internet sind dank Satellitentechnik möglich, obgleich die Verbindung bestenfalls antiquierte ISDN-Standard-Geschwindigkeit erreicht und geradezu obszön überteuert ist.
Während der Kaffee durch die Maschine läuft, ziehe ich die Daunenjacke über und stapfe die rund 20 Meter durch den Schnee zum Outhouse, Alaskas legendärem Plumpsklo. Andy hat die Sitzfläche mit einer dicken Styroporplatte isoliert, die für überraschend warmen Komfort sorgt. Und wenn es mal länger dauert, bietet unterhaltsame Lektüre Zerstreuung. Oder der freie Blick auf den majestätischen Calico Bluff, der unweit vom Grundstück schroff in den Yukon abbricht. Die Gewohnheit, das Papier ebenfalls in die Grube zu werfen, muss ich allerdings aufgeben. Das würde schnell zur Überfüllung führen. Deshalb steht ein kleiner Eimer bereit. Wenn der voll ist, wird der Inhalt zusammen mit anderem Müll in einer rostigen Metalltonne verbrannt.
Im Dog Yard rascheln die Ketten, als ich mich auf den Rückweg zum Haus mache. Die Hunde wissen, jetzt ist die Zeit, in der ich einen von ihnen ins Haus hole, wo er sich zusammen mit Husky-Opa Solo aufwärmen darf. Ihre Augen funkeln im Licht der Stirnlampe, als ich das Areal der Hütten erreiche.
Alle sind inzwischen erwacht und schwänzeln aufgeregt trabend in meine Richtung. Bis die Kette sie zurückhält und sie meine Aufmerksamkeit durch Winseln, Jaulen und Bellen auf sich ziehen wollen. Heute ist Iceberg dran, der schneeweiße Rüde, Andys bester Leithund, auch wenn er bei einem Gerangel im letzten Winter ein Auge verlor.
Ich löse den Karabiner am Halsband, und Iceberg sprintet auf die Veranda in freudiger Erwartung der Ofenwärme und Zuneigung, die er selbstverständlich ebenfalls bekommen wird. Zum Frühstück gibt’s Granola für mich und Hundefutter mit einer Kelle heißem Wasser für die Hunde. Danach ‚Scoop the Poop’. Also schnappe ich mir Schaufel und Eimer und sammle Gefrorenes, das am Ende auf einer ständig wachsenden Halde abseits des Grundstücks landet. Wer ‘Mushen’, also mit Huskies die winterliche Weite erkunden will, muss auch bereit sein die weniger glorreichen Taten zu vollbringen.
Überhaupt habe ich den Eindruck, als Hundeschlittenführer ist man in erster Linie Landwirt und nicht Abenteurer oder Sportler.
Die Versorgung der Tiere verlangt ähnliche Disziplin wie die eines Milchbauern, bei dem die Kühe meist über allem stehen. Hier draußen sind es die Hunde. Und der Haushalt mit allem, was dranhängt, wenn man ‚off the grid’, ohne Anbindung ans Netz, lebt.
Mein nächster Gang führt mich rüber zum ‚Power Shack’, in dem Andy seine Batterien verkabelt hat. Sie liefern den Strom fürs Haupthaus und die elektrischen Werkzeuge, die sich auf einer Werkbank im selben Schuppen verteilen. Mit ihnen bearbeitet Andy gelegentlich Flusskiesel und Tiergeweihe, fertigt daraus Schmuckstücke, die er hin und wieder verkauft, meist aber an seine Gäste verschenkt. Ich checke den Ladezustand der Batterien, der in den letzten beiden Tagen doch deutlich gefallen ist. Nach ein paar Versuchen knattert der kleine portable Generator, der in den kommenden Stunden bleifreies Benzin in Kilowatt verwandeln wird. Zunächst um einen Miniheizlüfter zu betreiben, der den Gemüsekeller in Andys neuem Haus vor dem Einfrieren bewahrt. Dort lagern vor allem Kartoffeln und Rüben in großen Plastiksäcken.
Das neue Haus entsteht gerade gut hundert Meter entfernt vom alten und soll im kommenden Winter fertig sein, mit mehr Platz und vor allem einem ausgetüftelten Kachelofen nach europäischem Vorbild, der das Brennholz wesentlich effizienter nutzen wird als die gusseisernen Dinosaurier in der alten Hütte. Ich heize das Feuer im kleinen Ofen des Schuppens wieder an, die Batterien dürfen nicht dauerhaft Kälte ausgesetzt sein, sonst verlieren sie ihre Ladekapazität und irgendwann auch die Funktion.
Inzwischen ist die Sonne aufgegangen. Ihre Strahlen zaubern ein trügerisch warmes Orange auf die verschneiten Hänge auf der anderen Yukon-Seite.
Hier am Südufer wird sie sich bis März nicht blicken lassen. Ich starte das Schneemobil, der Holzvorrat schwindet zunehmend. Aber in den Wäldern und der Uferzone am Fluss gibt es reichlich Nachschub.
An den Umgang mit der Motorsäge muss ich mich erst gewöhnen, am Ende aber fühle ich mich nach jeder Ausfahrt ein bisschen wie ein Jäger, der mit seiner Beute nach Hause kommt.
Statt mit Elch, Karibu oder Schneehuhn allerdings nur mit Fichte, Espe und Birke, in fußlangen Stücken, die ich anschließend gleich spalte und auf die Stapel beim Haus, Schuppen und der Sauna verteile. Dort, in der kleinsten Blockhütte auf dem Grundstück, werde ich später auch ein Feuer im Ofen schüren, um damit Wasser und die Luft zu erhitzen und am Ende des Tages eine wohltuende Eimerdusche zu nehmen. Solange es hell ist aber haben die Hunde Vorrang…
* * *
Leserpost
Schreib uns, was Du denkst!
Sabrina on 22. August 2019
Toller Bericht! Sehr schön. Sehr hart! Nichts für Weicheier ;-). Gut gemacht. Was für eine Arbeit da draussen in der Kälte.