Wieder steigt das Schiff. Und steigt. Noch ein Stück. Kommt für einen gefühlt ewigen Moment zum Stillstand. Und knallt aufs Wasser. Ein Zittern geht durch den Rumpf. Die Gischt spritzt bis zum Sonnendeck. Die nächste Welle. Diesmal schüttelt sich die MS Bremen bloß. Doch schon hebt sich das Meer erneut…
Wir haben Glück. Ein schwerer Sturm fegt über das Südpolarmeer. Der Kapitän der Bremen, Mark Behrend, hatte uns vor zwei Tagen die Wetterlage erklärt: Ein beeindruckendes Tiefdruckgebiet ziehe auf. Für uns gebe es zwei Optionen – entweder östlich dran vorbei oder westlich. Hauptsache weg. Im Zentrum seien die Wellen zehn bis vierzehn Meter hoch.
Niemand hatte deshalb etwas einzuwenden als der Kapitän sagte, er wolle das Unwetter westlich umfahren, da sei nur mit bis zu sechs Meter hohen Wellen zu rechnen.
Und jetzt, da es auf und ab geht, hin und her, Tag und Nacht, ahnt man, wie relativ Glück ist.
Wir müssen vieles neu lernen: schlafen bei Seegang, Zähne putzen bei Seegang, duschen bei Seegang, sich anziehen bei Seegang, essen und trinken bei Seegang, wenn Gläser ständig zu kippen drohen und Brot immer vom Teller rutscht. Aber es gibt auch amüsante Momente: an anderen vorbei gehen bei Seegang, man eiert eher aufeinander zu, ein Lächeln im Gesicht. Man nimmt sich nicht mehr so ernst – bei Seegang.
Das passt zu unserer Art zu reisen. Unsere fünfmonatige Weltreise ist eine Suche nach fünf Erfahrungen auf fünf Kontinenten: Einsamkeit aushalten in Kanada, den Atem der Geschichte spüren in Portugal, Demut lernen im Himalaya, der Tierwelt begegnen in Australien und: mit der MS Bremen in die Antarktis fahren.
Champagner
Unsere Once-in-a-lifetime-Reise ins ewige Eis beginnt 5 Tage vor dem Sturm an einem grauen Novembertag in Montevideo. Das Schiff liegt im ebenfalls grauen Hafen, weiß, strahlend, Expedition Cruises steht in großen Lettern auf dem Rumpf. Zur Begrüßung reicht man uns Champagner.
Ein kleines Schiff: 111 Meter lang, Platz für 164 Passagiere, kein Entertainment-Programm, dafür die höchste Eisklasse für Passagierschiffe.
Während das Schiff aus dem grau-braunen Rio de la Plata hinaus in den Südatlantik fährt, beziehen wir unsere Kabine. 16 Quadratmeter, ein schmales Bad, ein großes Doppelbett, ein echtes Fenster, eine Sitzecke mit Tisch, Stuhl, Sofa und Fernseher, Mini-Bar. Noch mehr Begrüßungschampagner. Unser Zuhause für die nächsten 23 Tage. Wir fühlen uns wohl. Doch kaum haben wir alles verstaut, beginnt die Seenot-Übung.

Rituale und Recaps
Am Abend das erste Ritual. Essen. Auch da haben wir Glück. Wir sitzen an einem runden 8er-Tisch mit einer Ärztin aus dem Allgäu und einem Elektriker aus Wien, mit einem Beamten-Paar aus Berlin und einem Hoteliers-Paar aus der Schweiz. Wir werden viel Spaß haben an Tisch 42.
Das nächste Ritual ist die Info-Veranstaltung im „Club“, später auch Pre- oder Recap genannt. Der Kapitän stellt sein Team vor: Nautiker, Küchenchef, Hotel-Direktor und Kreuzfahrtdirektorin. Und es verblüfft, dass so viele Mitarbeiter des schwimmenden Hotels Bremen aus Österreich stammen, jener Seefahrer-Nation in den Alpen…
Unsere Route führt zu den Falkland Inseln, nach Süd-Georgien, zu den Süd-Orkney- und Süd- Shetland-Inseln, schließlich durch den Lemaire Kanal. Ab da geht es durch die Drake-Passage zurück über Kap Hoorn nach Ushuaia im Süden Argentiniens, wo unsere Reise endet. So weit, so gut.
„Das ist der geplante Reiseverlauf“, sagt der Kapitän nun. Das Wetter wechsle schnell. Deshalb sei der Reiseverlauf eher als Reiseplan anzusehen. Im Katalog heiße es extra, „je nach Wetter- und Eisbedingungen entscheidet der Kapitän“. Und der Mann mit den vier goldenen Streifen auf den Schultern ergänzt: „Es ist mein Job, mitunter unpopuläre Entscheidungen zu treffen.“
In den ersten Tagen kann man sich das kaum vorstellen. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, auf dem Helikopter-Deck dösen die Gäste auf Liegen. Wir erkunden das Schiff: Fitness- Raum, Friseur-Studio, Sauna, ein kleiner Pool. Es gibt eine Lounge, zwei Restaurants und hinter dem „Club“ ein Lidodeck mit Tischen unter Heizstrahlern. Wir werden meist draußen essen, in Decken eingehüllt, die Welt genießend.

Auf der Bremen gilt das Prinzip des offenen Schiffs. Sind die Türen nicht zu, sind Besucher auf der Brücke willkommen. Wir lernen Mark Behrend kennen. Der Kapitän wohnt im Bergischen Land, lebt aber rund acht Monate im Jahr auf dem Schiff. Ein freundlicher Mensch mit Bart und lachenden Augen, der immer kurzärmelige Hemden trägt und oft nachdenkliche Töne anschlägt. Er zeigt uns seinen Arbeitsplatz und die Wetterkarte.
In der Ferne ein Sturm. Wird er uns erwischen?
Der Kapitän wiegt den Kopf. Vielleicht.

Das Wetter beschäftigt die Passagiere. Wird es zu garstig, können nicht alle Anlandungen durchgeführt werden. Das ist aber das Besondere an einer solchen Expeditionskreuzfahrt: dass man in schwarzen Gummibooten, sogenannten Zodiacs, zu kleinen Inseln übersetzt.
Für diese Zodiac-Exkursionen werden wir mit Parka und Gummistiefeln ausgestattet, damit wir bei einer „nassen Anlandung“ – man rutscht vom Schlauchboot ins Wasser und geht an Land – trockene Füße behalten. Wie viele Anlandungen sind nass, wie viele trocken? Jede Anlandung ist eine nasse Anlandung. Aha.
Später stehen wir an Deck. Ein hauchzarter Streifen Rosa trennt den stahlblauen Abendhimmel von einem Ozean, der vor uns liegt wie Tinte. Es ist kühler geworden, wenn wir sprechen steht in dünnen Wattewölkchen der Atem vor unseren Gesichtern. Mit 15 Knoten nähert sich die Bremen den Falkland Inseln.
* * *
Leserpost
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Mandy // Movin'n'Groovin on 22. Februar 2015
Wow wow wow! Ich bin sprachlos… sehr schöne Reisegeschichte, tolle Bilder!! Jetzt will ich auch! Über welche Agentur habt ihr die Tour gebucht? Ich bin Ende des Jahres in Argentinien, vllt. könnte ich ja… hmm… mal sehen. :)
Susanne&Dirk on 23. Februar 2015
Hallo Mandy,
freut uns sehr, dass dir unsere Geschichte gefällt. ;-)
Wir haben die Reise über Hapag-Lloyd Kreuzfahrten gebucht. Es gibt aber auch noch andere Anbieter wie Poseidon Expeditions.
Es empfiehlt sich, einen zuverlässigen und zertifizierten Anbieter zu wählen.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Anett on 22. Februar 2015
Wahnsinn, ich bin wirklich beeindruckt von euren wunderbaren Fotos und Videoaufnahmen. Eure Reisegeschichte hat mich gepackt und mein Fernweh in die Antarktis ist jetzt noch größer (als sie ohnehin schon war :) )
Vielen Dank! Anett
Susanne&Dirk on 23. Februar 2015
Liebe Anett,
danke für dein Lob! Und wenn du eines Tages dort sein solltest, genieße einen Moment der unfassbaren Weite und Abgeschiedenheit für uns mit.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Franziska via KeineWeltreise on 22. Februar 2015
Herzlichen Glückwunsch zu diesem gelungenen Blog! Vom Inhalt zunächst abgesehen finde ich die Form der Präsentation genial, man kann sozusagen vor- und zurückspulen durch das Scrollen!
Inhaltlich hat mich diese Episode sehr mitgerissen und mein Fernweh geweckt! Ich habe erst letzte Woche den Fil Shackleton gesehen und Sehnsucht bekommen. Dass die Reise euch im Rückblick so kurz erschien, spricht dafür, dass sie sehr intensiv war!
Liebe Grüße und danke für die Impressionen!
Franziska
Susanne&Dirk on 23. Februar 2015
Liebe Franziska,
danke für dein Lob. Ja, das Format ist toll! Auch andere Reiseziele kann man so sehr schön erzählen.
Die Antarktis ist allerdings ein Once-in-a-Lifetime-Reiseziel. Und wir werden die Fahrt bis an ihren Rand wohl nie vergessen.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
elisabeth on 23. Februar 2015
Eindrucksvoller Bericht – ganz, ganz toll. Vor allem die „bewegten“ Bilder !!!! Antarktis – wir kommen!
Susanne&Dirk on 23. Februar 2015
Liebe Elisabeth,
vielen Dank für dein Lob, hat uns sehr gefreut; auch wenn wir den Schneeengel nicht ganz sooo perfekt hingekriegt haben ;-)
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Carina on 23. Februar 2015
Ich würde den Beitrag gerne befürworten, weil ich das Storytelling die die Bilder wirklich wundervoll sind.
Jedoch habe ich mich die letzten Wochen, die ich in Feuerland unterwegs war mit einigen Personen über die Antarktis unterhalten und finde es einen sehr schwierigen Ort. Ich habe viele Menschen getroffen, die begeistert waren von ihrer Reise in die Antarktis und auch ich stelle mir eine solche Reise wie ein tolles Abenteuer vor. Jedoch finde ich den die Umwelt betreffenden Preis, den ich dafür zahlen würde zu hoch.
Man kann nur hoffen, dass sich der Antarktis Tourismus in den nächsten Jahren nicht verstärkt und die Umwelt- und Sicherheitsmaßnahmen auf den Schiffen (weiterhin) eingehalten werden.
Susanne&Dirk on 23. Februar 2015
Liebe Carina,
danke für deinen kritischen Kommentar. Wir halten ihn zum Teil für berechtigt: Reisen belastet die Umwelt.
Im Gegensatz zu den allermeisten Reisen unterliegen aber die in die Antarktis strengsten Auflagen durch das Umweltbundesamt: in Betreff auf den Treibstoff, den Müll, die Anlandungen, etc. Nur ein Unternehmen, das diese erfüllt und das lückenlos nachweist, darf in die Antarktis fahren. Und Hapag-Lloyd Kreuzfahrten tut das mit kleinen Schiffen, 150 Passagiere passen auf die Bremen.
Zudem ist die Antarktis gewaltig groß, größer als Europa. Die Bremen erreichte nur einen Punkt an der Südspitze der Antarktischen Halbinsel. Stell dir Europa ohne Menschen vor – und jetzt 30.000 Touristen im Jahr, die für drei Stunden Malta besuchen… Zum Vergleich, jährlich reisen mehr als 10 Millionen Menschen nach Mallorca.
Wer reist, steht immer im Konflikt mit der Umwelt (wie bist du nach Feuerland gekommen?). Wer reist, lernt aber auch die Schönheit dieser Welt kennen (würde es dir nicht fehlen, Feuerland bereist zu haben?). Den Umweltschutz vor allem auf das Reisen zu reduzieren, halten wir für falsch.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
vöglein on 26. Februar 2015
Ganz tolle Aufnahmen……wow!!!!! Macht Lust sofort loszuziehen……
Susanne&Dirk on 26. Februar 2015
Hi Vöglein,
manchmal kommt es uns selbst so vor, wenn wir etwa nach unten scrollen, um Kommentare und Fragen zu beantworten, dass wir denken: Was eine geile Reise! Müsste man unbedingt mal hin… ;-) Vielen Dank für dein Lob.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Jannik on 8. März 2015
Hey ihr Beiden!
Eine großartige, humorvolle und aufmerksame Reportage. Hat mir sehr gut gefallen.
Besonders die Bilder und Videos sind gut – und die Mischung aus Text und Bild ist genau richtig.
Auf einigen Bildern ist links eine Art Nebel, wie ist das passiert? Objektiv kaputt?
Herzliche Grüße,
Jannik
Susanne&Dirk on 8. März 2015
Hallo Jannik,
schön, dass du das Stück magst! Freut uns sehr. Wie so oft, ist es in seiner Qualität das Ergebnis einer Zusammenarbeit: Wir haben das Material mit gebracht, das Travel Episodes-Team hat es montiert. So ist eine stimmige Reisereportage entstanden.
Bemerkenswert, dass dir der Fehler in den Fotos aufgefallen ist. Tatsächlich hat das Objektiv in der dritten Woche unserer fünfmonatigen Weltreise einen Defekt davon getragen. Er zeigt sich nur bei extremen Brennweiten, meist oben links. Wir waren sooo unglücklich. Aber es ließ sich nicht nachhaltig reparieren, und uns fehlte unterwegs das Geld, einfach ein neues Objektiv zu kaufen. Wir haben nur wenige Fotos mit in den Beitrag genommen, auf denen der Fehler zu sehen ist und hoffen, dass es dem Zauber dieser Reise nicht zu viel Abbruch tut.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Webtrends: Storytelling | iE5 – Information Explorers 5 on 22. April 2015
[…] von Flüchtlingen zu erklären. Auf Travelepisodes kann man Reisende auf ihren Abenteuern in die Antarktis oder in den Vietnam begleiten. Aber auch Infografiken, Produkt Websites, Agenturen und sogar […]
Steffen on 25. September 2015
Holla die Waldfee, das ist mal ein guter Beitrag! Sehr schöne Videos und Bilder! Und auch am Text erkennt man deutlich euren professionellen Hintergrund =)
Wenn mir jetzt auf Booten nicht schlecht werden würde, wäre die Antarktis echt eine Option ;) Aber bei dem Seegang wäre ich dann wohl doch die meiste Zeit über der Reling (oder sonst wo) gehangen ;)
Khalid Rashid on 12. Dezember 2015
Unglaublich ist diese Travel Episode. Ich habe auf meinem Stuhl an meinem Rechnertisch eine Reise nach Antarktis gemacht. Und diese wird begleitet vom einer transzendentalen inneren Wahrnehmung. Danke
Janett on 25. Dezember 2015
Nachdem ich bei Inka von Blickgewinkelt immer mal in die Antarktis-Berichte reingelunzt habe und trotz Kälte ein gewissen Wunsch verspüre, das irgendwann auch mal auszuprobieren, hab ich euren Beitrag natürlich mit Spannung verfolgt! Wirklich cool! Sind die Mitreisenden denn überwiegend Europäer?
Laura on 16. Februar 2016
Danke für den tollen Beitrag!
Karin on 16. Februar 2016
Viele träumen davon die Eiswüste zu besuchen, aber nicht alle verwirklichen ihren Traum.Ich habe Glück, weil ich bald in die Antarktis reise. Das sol traumhaft sein. Meine Reise wird von antarktis expedition http://poseidonexpeditions.com/de/antarktis/ organisiert. Bald geht es los!
One Million Places on 20. Januar 2017
Wirklich einer der interessantesten Artikel die ich seit langem gelesen habe. Allein schon die Präsentation mit den vielen Videos ist sensationell und nimmt einen wirklich mit auf eine tolle Reise ans andere Ende der Welt!
Anja Wendtland on 10. Dezember 2019
Ich habe alles von Euch hier gelesen, ich habe Bilder geschaut, ich habe Videos gesehen und ich habe habe geweint………….und ich weine immer noch…………wie schön diese Welt doch ist………….wie wunderbar………..ich habe es im Sommer bis nach Spitzbergen geschafft……wenigstens ein bisschen Eis zu sehen………..auch wenn ich weiß, dass es nie möglich sein wird jemals die Pinguine dort zu sehen, wo sie eigentlich leben sollten, in der Antarktis und nicht im Zoo weiß ich, dass ich mich erfreuen kann an solchen Berichten, wie ihr sie schreibt……….Ich danke Euch, dass ihr mich mitgenommen habt in eine so friedliche Welt. Danke aus Berlin.
Anja
(Anja Patch Adam) facebook
Dayara Resort on 4. März 2020
It was an amazing blog on Antartica.. I would like to mention that I felt I was at the place while reading your blog. Thanks for sharing
Syde on 22. März 2021
It’s unforgettable moment when traveling.
this place will be in my list destination to visit. Thanks for inspiring me and all your reader :)