Shortlist: Mongolei
Dschingis Khan fährt Motorrad
„Mach dir keine Sorgen“, sagt sie, „Basa kann das Motorrad reparieren. Wenn du es kaufst, ist es so gut wie neu.“
Von Adriane Lochner
Kairo, im Oktober. „Hello my friend“, sagte der Fremde und bleckte dabei seine gelben Zähnen, „where are you going?“ Na servus, das also soll mein neuer Freund sein, dachte ich mir, tatsächlich?
Von Rainer Feichter
Ich habe einen guten Freund im Stich gelassen.
Ich habe die Freundschaft zu ihm vorsätzlich beendet. Es war schrecklich, aber ich musste es tun, mir blieb keine andere Wahl.
Abschied nehmen ist schwer. Es ist nicht schön. Es ist traurig und ich hab‘ ihm bis heute nicht erklärt, warum ich mich aus dem Staub gemacht habe. Er würde es ohnehin nicht verstehen, glaube ich zumindest.
Es war ein Abschied auf Raten, mit vielen schwierigen Etappen. Und die Reise nach Ägypten war eine davon. Reisen ist eine Art Allheilmittel, egal ob man sich Problemen endlich stellen oder bloß vor ihnen flüchten will. Jeder Aufbruch verändert dich, deine Sichtweisen und deine Haltungen. Jede Reise ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu dir selbst.
Mein erster Tag in Kairo, von dem ich hier erzählen will, war ein Meilenstein dorthin.
Es war ein Vormittag im Oktober. Die Sonne, die allmächtig über der Sahara thront, bahnte sich mit gnadenloser Hitze ihren Weg durch die bräunlichen Häuserschluchten von Kairo. Mit voller Kraft drückten ihre Strahlen auf das Dach des schäbigen alten Taxis, in dem ich saß. Der Schweiß perlte Staub durchsetzt über meinen Nacken. Scheiße, war das hier heiß. Und stickig. Links brodelten die Abgase einer Blechlawine, rechts am Gehsteig wimmelte es von Menschen. Mein Kopf dröhnte, war benommen vom Dauerhupen auf der Straße und dem nervösen arabischen Pop, der drinnen aus dem Autoradio dudelte. Ich starrte durch die speckigen Scheiben. Kairo war eine dreckige Suppe aus Abgasen, Lärm und drückender Hitze.
Ich zündete mir eine Zigarette an. Aus Notwehr. Es war bereits die siebte oder achte, seit ich vor zwei Stunden am Midan Tahrir in diese glühende Blechkiste eingestiegen war. Der Taxler hatte mir keine Wahl gelassen. Schon beim Einsteigen hatte er einen Glimmstengel im Mund. Auf unserem Weg nach Gizeh, an die südwestlichen Ausläufer von Kairo, rauchte er in Kette, bei geschlossenem Fenster. Und da durchlüften ohnehin zwecklos gewesen wäre, beschloss ich mitzumachen, und zwar im Akkord.
Plötzlich öffnete sich die Beifahrertür. Ein Typ sprang herein. Mit einem diebischen Grinsen drängte er in mein Blickfeld. „Hello my friend“, sagte der Fremde und bleckte dabei seine gelben Zähnen, „where are you going?“ Na servus, das also soll mein neuer Freund sein, dachte ich mir, tatsächlich? Was für seine Behauptung sprach war, dass ich ihm gar nicht erst erklären musste, wohin ich wollte. Er wisse es bereits, schob er ungefragt nach und für einen Pyramiden-Besucher wie mich hätte er heute – und nur heute – einen Sonderpreis anzubieten.
Ich hatte vor meiner Abreise schon viel gehört über die Touristenfänger bei den Pyramiden von Gizeh. Nirgendwo sonst auf der Welt, so sagt man, sind sie so hartnäckig und unverschämt wie hier. Wen wundert‘ s? Seit mehr als 4.000 Jahren reisten Menschen aus aller Welt nach Unterägypten, um sich DAS Weltwunder anzusehen. Die Pyramiden des Cheops, Chephren und Mykerinos, diese drei kolossalen Grabstätten, errichtet zur letzten Ruhe der ägyptischen Gottkönige, sind ohne Zweifel die berühmteste Sehenswürdigkeit der Welt. Genau deshalb gab ich einen Dreck auf die Vorwarnungen früherer Besucher, ich wollte die Pyramiden unbedingt sehen, ganz egal wie schamlos die Tourismus-Mafia hier auch sein mochte.
Der Fremde, der mein Taxi gekapert hatte, war einer von ihnen. Sein Name war Gamal, ein waschechter ‚local‘ aus Kairo, wie er mir versicherte, und so wie seine Heimatstadt war auch er eine laute, wilde, hitzige Lawine. Er plapperte ohne Unterlass und fuchtelte dabei konfus mit den Händen. Es war ihm vollkommen Wurscht, was ich zu sagen hatte. Mein Einwand, dass ich kein Interesse an seinem Angebot hatte – parierte er mit links . Die Aufforderung er solle wieder aus dem Taxi steigen – perlte an ihm am.
Das galt übrigens auch für den Taxler. Der scherte sich einen Teufel um meine Proteste. Stattdessen bot er Gamal gleich mal eine Zigarette an. Dieser wiederum unterbrach seinen Wortschwall nur dann und wann, um mit seinem Komplizen kurz ein paar Worte auf arabisch zu wechseln. Es war zwecklos, die beiden wollten mich nicht hören. Die Pyramiden waren ihr Business und ich war ihr Tourist. Sie hatten beschlossen, an mir ein Geld zu verdienen. „You won’t regret it“, sprach Gamal schließlich ein Machtwort.
Was sollte ich da noch sagen? Ich willigte kleinlaut ein.
Wenn man vor den Pyramiden steht, wird man winzig klein. Die Füße versinken langsam im Sand der Wüste und während der Blick nach oben wandert, über zahllose Steinblöcke und Stufen hinweg, beginnt man langsam zu schrumpfen.
Ich stand vor den Kolossen und sie erinnerten mich an jene besondere Freundschaft, die ich mal gehabt hatte. Was uns verbunden hatte, war riesengroß gewesen. Unzählige Gefühle und ebenso viele unvergessliche Episoden hatten wir Stein für Stein aufeinander gelegt. Aber irgendwann hatte diese Freundschaft eine überdimensionale Bedeutung in meinem Leben eingenommen. Die Bausteine, aus denen sie bestanden hatte, waren immer enger zusammen gerückt, sie hatten sich verschoben und aus den Stufen war mit der Zeit eine bedrohlich hohe Mauer geworden.
Ich hab mich jahrelang davor gedrückt, diese Mauer einzureißen. Niemand will eine Freundschaft einfach so beenden. Aber als die Mauer begann, über mir einzustürzen und ich mir deswegen fast das Leben genommen hätte, gab‘ s keinen Ausweg mehr. Freundschaft ist unheimlich wertvoll, deshalb darf sie auch vieles, aber zerstören darf sie dich nicht. Genau deshalb habe ich die Reißleine gezogen.
Ich drehte mich um, weg von den Pyramiden und weg von diesen Erinnerungen. Da war auf einmal unendliche Freiheit vor mir. Die Sahara erstreckte sich vom Fuß der Monumente hinaus bis an den Horizont. Ich atmete auf. Ich war so froh, dass mir endlich nichts mehr im Wege stand. Ich war frei. Und doch fühlte ich mich gleichzeitig so einsam inmitten der Wüste.
Auf dem Rücken eines Kamels ging es behäbig zurück zum Ausgangspunkt der Tour. Vor dem kleinen Haus warteten schon die nächsten Touristen auf ihren Ritt in die Vergangenheit. Mittendrin war Gamal bei seiner Arbeit. Als er mich vom Tier absteigen sah, kam er herüber geeilt.
„How are you?“ fragte er und streckte mir seine Hand entgegen.
Zögernd schlug ich ein und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Das übernahm dann er für mich. Er legte gleich wieder mit Volldampf los, und noch ehe ich auch nur ein Wort gesagt hatte, verfrachtete er mich palavernd ins Hinterzimmer des kleinen Hauses. Er wollte, dass ich ihm dort von meinem Ausflug zu den Pyramiden erzählte.
Das Thema Weltwunder hatten wir schnell abgehakt. Es war wohl nur ein Vorwand gewesen, um mich auf einen Tee und eine Zigarette einzuladen. Gamal war nicht wiederzuerkennen. Er redete ohne Hast, stellte gemütlich seine Fragen und hörte mir dann zu, während er hin und wieder einen Schluck aus seinem kleinen Teeglas nahm. Wir saßen entspannt wie zwei Paschas auf dem breiten Diwan im kühlen Hinterzimmer und fläzten von einem Thema zum anderen. Wir lachten über die Rivalität zwischen Nord und Süd, die in Ägypten offenbar ebenso ausgeprägt war wie bei mir daheim in Italien. Wir schwärmten von der Klasse Omar Sharifs und rühmten Ornella Mutis Schönheit. Kein Thema blieb unberührt, Gamal erzählte vom Nil und ich von den Alpen, es ging um „dolce vita“ ebenso wie um die bittere Armut in den Städten Ägyptens und selbstverständlich ging es auch um die unerreichte Erhabenheit des italienischen Fußballs. Die Zeit verging wie im Flug. Weg waren die Sorgen, die mich draußen bei den Pyramiden geplagt hatten, weg war auch die Einsamkeit. Wir ließen uns treiben und aus Tee wurde leckeres Stella-Bier und auch die Tschick ersetzte der heitere Ägypter schon bald mit saftigen Sudanesen-Zigaretten.
Stunden vergingen und ich wäre wohl noch länger geblieben, hätte nicht irgendwann mein Telefon geklingelt. Es war Marlene, meine Lebensgefährtin, doch ich ging nicht ran. Nicht in dem heillos herrlichen Zustand. Also sagte ich zu Gamal, dass ich aufbrechen würde, zurück ins Hotel, mich ein bisschen frisch machen für den anstehenden Rückruf. Natürlich konnte Gamal mich nicht einfach so gehen lassen. Nicht, ohne mir vorher ein spezielles Angebot zu machen. Ein anderer Taxler, einer seiner Freunde, könnte mich für wenig Geld zurück nach Downtown Kairo bringen. Ich schmunzelte. Gamal und seine unwiderstehlichen Angebote. Natürlich sagte ich ja.
„You won’t regret it“, fügte er mit schelmischer Miene hinzu.
Die Fahrt mit dem Taxi dauerte nicht lange. Aus dem lockeren Gespräch, das Gamal und der Fahrer zu Beginn führten, entwickelte sich im Handumdrehen ein heftiger Streit und bald darauf schmiss uns der Taxler kurzerhand raus. Er drückte aufs Gas und weg war er. Noch während Gamal ihm hinterher fluchte, stellte er sich an den Straßenrand und hob den Daumen raus. Gleich der erste Wagen hielt an. Es war ein schmutziger Pick-up, beladen mit Kisten, in denen zerzauste Hühner polterten. Gamal sprang auf die Ladefläche, reichte mir die Hand und zog mich zu sich rauf.
Was folgte, war ein wilder Ritt durch das abendliche Kairo. Ich weiß nicht mehr genau, mit wie vielen verschiedenen Fahrzeugen wir durch die Stadt getrampt sind. Manche Fahrten gingen nur über wenige hundert Meter, andere dagegen nahmen uns mit, solange wir es aushielten. Halb Kairo gab uns einen Lift, ob in türlosen Rostlauben oder in Kleinbussen, die mit Dutzenden von Leuten vollgepackt waren. Wir unterhielten uns prächtig, waren die Könige der Straße und genossen die gemeinsame Reise über die im letzten Sonnenlicht goldbraun schimmernden Straßen der gigantischen Stadt.
Es war eine zauberhafte Odyssee, bis Gamal auf einmal – wir waren gerade aus einem der Autos ausgestiegen – „I have to leave“ zu mir sagte. Er wohne hier gleich ums Eck und es wäre für ihn höchste Zeit, nach Hause zu gehen, meinte er, heim zu seinen Kindern und seiner Frau. Meine Mundwinkel sanken von ganz oben nach ganz unten. Ich begriff, dass unser Abenteuer hier zu Ende ging. Um uns herum dröhnte der Verkehr und doch war es in diesem Moment vollkommen still. Durch den Staub, der in Luft lag, sah ich das Glänzen in Gamals Augen. Er war ebenso traurig, dass wir jetzt Abschied nehmen mussten. Aber sein Lächeln trotzte dem Verdruss. Noch einmal reichten wir uns die Hand, lachten gemeinsam laut auf und drückten zu, so fest wir konnten.
„Take care my friend“ waren seine letzten Worte, bevor er sich umdrehte und davon ging. Ich schaute ihm noch eine Weile nach, während er den Gehsteig entlang schlenderte. Erst als seine graubraune Gestalt irgendwo im Gewusel des Straßenzuges unterging, wandte ich mich um und hob wieder den Daumen.
Es versteht sich wohl von selbst, dass mich gleich der erste Wagen wieder mitgenommen hat. Gamal war zwar weg, sein Geist aber war immer noch da. Ich glaube, es war sein Abschiedsgeschenk, dass mich gerade dieser Wagen dann ohne Zwischenstopp bis zum Midan Opera brachte, nach Downtown Kairo, also genau dorthin, wo sich mein Hotel befand. Kaum saß ich im Auto, bot mir der Fahrer auch schon eine Zigarette an. Er drehte das Radio etwas auf und drückte auf die Tube. Die Musik spielte im Rhythmus der großen Stadt. ‚Umm al-Dunya‘, die Mutter der Welt, so hatte Gamal Kairo genannt. Jetzt verstand ich, was er damit meinte, denn ich konnte sie hören, riechen, spüren. Wir waren noch nicht lange unterwegs, da vibrierte mein Telefon. Es war eine Nachricht von Marlene. Sie schrieb, dass sie heute zum ersten Mal das Strampeln unseres Kindes gespürt hatte. In ihrem Bauch wuchs neues Leben heran, das mir schon bald eine unvorstellbar große Welt eröffnen würde. Es war der Augenblick, in dem ich ein tiefes Glücksgefühl verspürte.
Ich bin nicht allein.
Und während sandig-samtige Luft durchs offene Fenster in mein Gesicht blies, dachte ich an meinen Freund Gamal und flüsterte seine Worte, um das kleine Geschöpf willkommen zu heißen: „Hello my friend.“
Rainer Feichter ist krank. Diagnose: Reisefieber. Unheilbar. Zwar lindert seine wunderbare Familie das ständige Fernweh, aber bei starken Schüben, die regelmäßig auftreten, muss er einfach raus, raus in die Welt.
* * *
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Ich mache Ferien auf der Achse des Bösen und finde dort wahre Schönheit.
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Lara on 4. März 2017
Sehr eindrucksvoll und emotional beschrieben. Ob ich aber jemals nach Kairo reise bleibt offen. Stelle ich mir vor als junge Frau direkt so bedrängt zu werden im Taxi, bin ich bereits raus. Aber man weiß nie wohin einen der Weg und die Reiselust so zieht.