Meine ersten Finnen traf ich 2009. Ich war damals anderthalb Wochen in Tokyo unterwegs und wechselte gerade zum dritten Mal meine nächtliche Bleibe. Ich wollte am nächsten Morgen früh auf die Inseln im Süden und hatte mir deswegen zwei Quadratmeter in einem Kapselhotel nah dem Hafen gemietet. Auf diese Inseln kam früher selten ein Tourist, weil es ohne Japanisch- oder Ortskenntnisse so gut wie unmöglich ist. Die Nacht sollte kurz sein, nur meine Kamera wollte ich noch aufladen. Die einzigen funktionierenden Steckdosen des achtstöckigen Hotels, welches auf jeder Etage zwischen 50 und 80 Kapseln hatte und deren Fenster nur einen Blick auf die Außenwand des jeweiligen Nachbargebäudes ermöglichten, befanden sich beim Aufzug, wo gleichzeitig der einzige Tisch der Etage stand.
Zwei junge Männer spielten darauf gerade Poker. Der eine mit blasser Glatze und blauen Augen, der andere mit dichtem blondem Haar. Beim Einstöpseln der Kamera stieß ich die Karten vom wackeligen Tisch. Die Jungs lächelten nur und wünschten mir eine gute Nacht.
Mit viel Glück ergatterte ich am nächsten Tag auf der Insel ein günstiges Zimmer in einem ehemaligen japanischen Landhaus, welches nun als Hostel für Surfer diente, die in der Regensaison jetzt fern blieben. Tatsächlich war ich der einzige Gast im großen Anwesen. Am Abend kamen überraschend zwei neue Gäste hinzu, der Besitzer bat mich zu übersetzen. Es waren zwei junge Europäer.
Unser Gespräch ging schon eine Weile, bis es uns auffiel und wir mit den Fingern aufeinander zeigten als seien sie Pistolen: Die beiden Jungs waren die beiden Kerle, deren Pokertisch ich in in der Nacht zuvor in der 4. Etage eines abgenutzten Kapselhotels irgendwo in der Megastadt umgestoßen hatte. Mehr als zwei Worte wechselten wir am Abend zuvor nicht. Aber nun trafen wir uns wieder, 170 Kilometer südlich von Tokyo auf einer Insel, in einem Hostel, das nirgendwo geführt wird. Sie kamen aus Finnland.
In der Nacht erzählten wir uns von unseren Ländern.
Sie beschrieben mir den kalten Winter und einen skandinavischen Sport, der dem Eishockey ähnelt, aber mit einem löchrigen Ball aus Plastik gespielt wird. Nur Länder aus Nordeuropa nehmen an den Turnieren teil und jede Nation hasst den Gegner mit einem sportlichen Ehrgeiz. Stolz erzählten sie mir, wie in den 90er Jahren Finnland über Norwegen in diesem Sport triumphierte und zeigten mir die Ausschnitte des Spiels auf Youtube.
Beide Jungs hatten kurz zuvor ihren Militärdienst absolviert und bereisten mit dem Sold und der freien Zeit nun Asien. Dabei blieben sie aber oft nur unter sich. Finnen halten sich eher zurück, erzählten sie mir.
Meine nächste Begegnung mit Finnland fand einige Wochen später statt. Ich war immer noch in Tokyo und brauchte eine neues Bett, also antwortete ich auf das Angebot einer Kleinanzeige. So begegnete ich Tiina. Durch den Mailverkehr entstand eine Freundschaft, aber ihr Bett kaufte ich trotzdem nie.
Tiina bezeichnet sich selbst als untypische Finnin: also als gesellig und kommunikativ. Ich besuchte sie schon das zweite Mal in ihrem Land. Und als ich mit der Mülltüte in der Hand in ihrem Hausflur in Helsinki stand, während sie lächelnd die Treppe runter tanzte, musste ich daran denken, wie absurd komisch und zufällig es doch war, dass ich sie nur kennenlernte, weil sie in Tokyo mal ein Bett verkaufte.
Und nun, fünf Jahre später, standen wir hier im Götan Maailma, das voll mit Objekten war, die selbst eine Reise voller Zufälle hinter sich hatten.
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Leserpost
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Enno on 10. April 2016
Sehr starke Geschichte! Mit tollen Videoclips! Mehr davon, bitte!
Mandy // Movin'n'Groovin on 24. April 2016
Wow, das muss ich mir auch anschauen, wenn ich in Helsinki bin im Sommer. Danke für den Tipp und die schöne Geschichte!
Ariane on 26. April 2016
Was für eine wunderbare Geschichte, und dazu ganz tolle Fotos – man fühlt sich mitten drin! Habe ich sehr gern gelesen, und werde ich mir für den Herbst merken, wenn ich selbst in Helsinki bin.
Lucyna Kulik on 18. Mai 2016
Schönen Land und bilder ,Tradition.Das bin ich zufrieden,das habe ich gesehen.Danke.
Detlef Stapf on 4. September 2017
Reise in die skurrile Welt der Wunderkammern https://www.kulturreise-ideen.de/kunst/kunstkammern/Tour-kunst-und-wunderkammern.html