Loading...

The Travel Episodes

Bild syrien

Vielleicht ist es der Krieg, der mich noch oft an diese Reise denken lässt. Vielleicht sind es die vielen Menschen aus Syrien, die mittlerweile in Deutschland leben und mich an die Begegnungen in ihrem Land erinnern. Die aus ihrer Sicht vielleicht alltäglich waren, jedoch vollkommen überraschend für mich. Es waren nur zwei Wochen. Vier Monate bevor es losging mit dem Krieg.
 
 
Damaskus, November 2010

Kuriose Fremde

Es muss an den Klamotten liegen. Den vielen wallenden Gewändern und Kopfbedeckungen, die hier zwar nicht unbedingt jede Frau, andererseits aber auch viele Männer tragen. Den rot-weißen „Arafat-Tüchern“, meinem Daueraccessoire 1994, die in traditioneller Kombination mit Kaftan & Co. jetzt aber eher rebellisch-bedrohlich als rebellisch-hip auf mich wirken. Oder liegt es an den Muezzinen, die schon zu unerhört frühen Zeiten schräge, Ehrfurcht gebührende Sprechgesänge von den Minaretten über die Dächer von Damaskus jagen. Damit auch wirklich niemand vergisst, dass Zeit zum Beten ist. Oder ist es die staubige Wärme, das gleißende Sonnenlicht, das Flimmern in der Luft, der undefinierbare Architekturmix, die Wüste hinter der Stadt? Oder überhaupt der Nahe Osten? Ich fühle mich fremd.

So fremd, dass es fast schon unheimlich ist.

Doch das unbehagliche Gefühl weicht. Von Stunde zu Stunde, mit jedem Kontakt, mit jeder Prise Orient, mit jeder Kuriosität – und davon sehe ich hier jede Menge. Der Damensalon etwa, der hinter abgeklebten Fensterscheiben haarige Kunstwerke vor öffentlichen Blicken verbirgt wie ein Kopftuch, gleichzeitig aber den Geräuschpegel einer wilden Party auf die Straße trägt. Oder die seltsame Reizwäsche im Souq, mit bunten Federn, Plüsch und Blingbling, und die Niqab-Trägerinnen, die entsprechende Angebote inspizieren. Vor allem aber die Aufmerksamkeit, die meinem Freund und mir an jeder Ecke entgegenschlägt, ist Balsam für die befremdete Seele: Herzlich, niemals aufdringlich, nicht einmal im Souq, überall nur: Welcome to Syria. Und dann: Talal.

Talal ist 25 und arbeitet bei Rudi, einem Souvenirhändler in der Altstadt, der eigentlich anders heißt, aber als Rudi seine Waren besser an den Tourist gebracht bekommen will. Beim Small Talk zwischen kunstvollen Holzkästchen und Backgammon-Spielen schlägt Talal vor, uns nach Feierabend sein Lieblingsrestaurant zu zeigen. Wir sind gespannt, sicher wird es eine dieser orientalischen Oasen sein, die sich hinter den dicken Mauern der Damaszenser Häuser offenbaren. In denen Familien vor gefüllten Platten, Tellerchen voller Pasten und haufenweise Fladenbrot zusammen kommen, Tee trinken und Shisha rauchen.

Die Oase, in die uns Talal später zum Essen führt, ist ein Garten. Ein äußerst romantischer Garten mit einem romantisch beleuchteten Pavillon und – etwas weniger romantisch – Hamburgern und Pommes auf der Speisekarte. Er sei oft mit Lisa hier hergekommen, erzählt Talal etwas wehmütig und zeigt uns die Visitenkarte der 46-jährigen Doktorin aus Meran, die eine Zeit lang in Damaskus gelebt und sein Herz erobert hatte: „I miss her“, sagt Talal und berichtet von den finanziellen und bürokratischen Hürden, die ihm den Weg nach Europa auf ewig verwehren werden. Ich bin voll Mitleid und schreibe ihm deutsches Süßholz auf, das er seiner Lisa per SMS raspeln kann. „Hmm“, grummelt mein Freund ganz unromantisch rational, „wenn die Liebe mal nicht dem Visum gilt.“

Was auch immer, Talal, der geschniegelte junge Mann aus der fremden Welt, der schlechte Erinnerungen an seine Zeit beim Militär hat, weil es dort so dreckig war, der davon träumt, Italien und Deutschland zu sehen, der auf westliches Essen, westliches Ambiente und westliche Mode steht – er jedenfalls hat keine Angst vor einer fremden Welt.
 
 
Aleppo, einige Tage später

Kettenreaktion

Im Grunde genommen war es Jamil, der uns nach Aleppo gebracht hat. Vor ein paar Tagen stand er in Palmyra plötzlich vor uns, in der Dunkelheit am Rande der Wüste mit anderen Taxifahrern, die auf den Bus aus Damaskus gewartet hatten. Schlepper, hatte der Lonely Planet gewarnt. Doch Jamil, der mit seinem weißen Kaftan und den noch weißeren Zähnen die Nacht zum Tag lächelte, erschien wie ein himmlischer Gesandter und argumentierte zudem auch noch einleuchtend: „Take a look. If you don´t like it, you can go.“ So landeten wir im Hotel seines Freundes Mohammed und Jamil wurde unser Begleiter. Er kutschierte uns zu den imposanten Ruinen von Palmyra, zu Schlössern, Gräbern, der verschwundenen Stadt ar-Rusafa und zum Sonnenuntergang auf den Berg. Er versorgte uns mit Datteln und Tee im Namen seiner Frau, sprach von seinen drei kleinen Töchtern, wie es nur stolze Väter tun und wurde dabei trotzdem nicht müde zu betonen:

„Three girls! Enough!“

Wenn er auf uns warten musste, pflegte er sein Auto wie einen Schatz.

Die letzte Taxifahrt mit Jamil führte zum Assad-Stausee in der Provinz ar-Raqqa, wo uns ein weiterer Freund namens Abdullah Unterkunft in einem Zelt direkt am See gewährte. Abdullah, seinerseits Restaurantbesitzer und Schlüsselwart der benachbarten Burg Qal´at Dscha´bar, erschien anfangs etwas selbstgefällig – was man ihm aber nachsehen muss, schließlich hat er im Rahmen seiner Schlüsselhoheit schon einmal Zigarre mit Gerhard Schröder geraucht. Politiker schienen ihn ohnehin zu faszinieren, zumindest sprach er im Laufe des Abends über ziemlich viele, allerdings nur über die ausländischen. Dann zeigte er uns auf dem Handy das Video einer Hochzeit, bei der mit Kalashnikovs geschossen statt mit Blumenbögen Spalier gestanden wurde und erklärte im nächsten Atemzug, dass die größte Gefahr in Syrien von bissigen Wüstenhunden ausginge. Zu guter Letzt ernannte mich Abdullah zu seiner Schwester und vermittelte den Kontakt zu seinem Freund Abu Janti in Aleppo.

Abu Janti scheint eine Institution in Syrien zu sein, die Taxifahrer-Legende schlechthin. Anders ließ sich die Reaktion von diesem Teenie am Busbahnhof in Aleppo nicht erklären. „I´m your Abu Janti“, rief er voller Elan, nachdem wir ihm mitgeteilt hatten, dass wir auf jenen warten und klopfte sich dabei sichtlich amüsiert auf die Brust. „I´m your Abu Janti“, ließ er uns und den halben Busbahnhof noch ein paar Mal wissen, bevor er schließlich unserem Abu Janti telefonisch unseren genauen Standort mitteilte.

Abdin, so hieß unser Abu Janti wirklich, brachte uns in ein Hotel im Zentrum. Wir wohnten jetzt in einer Straße, in der es viele Reifen und andere Dinge fürs Auto gibt. Im Haus gegenüber soll regelmäßig „Varieté“ stattfinden, meinte der Franzose, der unterm Dach wohnte und von dort alles im Blick hatte. Eben beim Kebab essen unten auf der Treppe haben wir dann selbst gesehen, wie ein Schwarm leicht bekleideter Damen, angeblich Russinnen, aus dem Haus gekommen ist und in einem alten VW-Bus abtransportiert wurde. Ein Puff in Aleppo. Ein uraltes Gewerbe in einer uralten Stadt. Es passte zusammen, aber irgendwie nicht ins Bild.

Der zweite Kebab hätte nicht sein müssen.

Dann würde nicht nur das Bild, sondern auch die Hose noch besser passen. Doch dieser Duft von Tee, Muskat, Curry, Pfeffer, Kümmel, gerösteten Nüssen, gegrilltem Fleisch, der einem überall in die Nase stieg – ständig bewirkte er Hunger. So auch gestern vor diesem Restaurant, in das wir wegen einer noch brennenden Zigarette nicht sofort eintreten wollten. Ein Schild mit durchgestrichener Zigarette, Pfeife und Shisha zeigte unmissverständlich das frisch von der Regierung eingeführte Rauchverbot an. Ein Kellner kam zur Tür und meinte, das sei egal. Er führte uns samt Zigarette an einen Tisch, stellte einen Aschenbecher hin und brachte eine Speisekarte, die wir nicht lesen konnten. Er schaute etwas genervt, ging weg, kam wieder und nahm uns mit in die Küche, wo der Koch uns seine roten, orangefarbenen, gelben Eintöpfe und Suppen zeigte. Wir wählten rot und trafen damit eine gute Entscheidung. Am Nachbartisch konnten wir zum ersten Mal im Leben sehen, wie eine Frau mit Burka isst und trinkt. Vor jedem Bissen und jedem Schluck erst den Schleier anheben zu müssen, stelle ich mir umständlich vor und so sah es auch aus. Unnatürlich seltsam.

Seltsam war auch die heutige Begegnung mit einem älteren Mann in hellem Gewand. Er kam auf der Straße auf uns zu, hieß uns willkommen und sagte, dass wir jederzeit in sein Haus kommen könnten. Dann sagte er, dass es in Syrien keine Demokratie gäbe und in den Gefängnissen da draußen schlimme Dinge passieren würden. Wir sollten ein Foto von ihm machen und die Botschaft in unserem Land verkünden. Der Mann wirkte überzeugt und sprach sehr weise. Ich glaube, er hat ein gefährliches Tabu gebrochen, in dem er etwas gesagt hat, was man hier nicht sagen darf.
 
 
Damaskus, kurz vor der Abreise

Alles im Blick

Das Verbotsschild, wir hätten es nicht leichtfertig ignorieren sollen, nur weil ein paar Autos daran vorbeigefahren sind. Auch wenn hier alle so nett sind – ein militärisches Sperrgebiet ist wahrscheinlich eine Grenze, die auch deutsche Touristen nicht einfach überschreiten sollten. Das wird uns der bewaffnete Soldat, der gerade auf uns zu kommt, bestimmt gleich sagen. Immerhin hat er das Gewehr noch nicht im Anschlag. Er sieht jung aus. Schaut grimmig. Oder irritiert? Jetzt ist er da. Bleibt stehen. Zuckt die Schultern. Breitet die Hände aus, sein Blick sagt: Was zur Hölle wollt ihr hier? Habil und Kabil, Kain und Abel. Ratlosigkeit, Blick auf die arabische Übersetzung im Reiseführer. Das Licht geht an. Und dann, mit Blick auf die umliegende Geröllwüste, wieder aus. Der Soldat reibt sich die Stirn, fasst einen Entschluss und fordert uns auf, ihm über das ansteigende Geröllfeld zu folgen. Die Rufe seiner Kameraden aus dem missinterpretierten Haus winkt er ab. Oben angekommen, zeigt der Soldat auf das Haus, das wir auf Talals Empfehlung hin eigentlich suchen und geht.

Wir erreichen das altehrwürdige Haus, das um einen sagenumwobenen Felsen gebaut wurde, der geweint haben soll, als Kain den Abel erschlagen hat. Da wir von hinten ankommen, müssen wir wie Eindringlinge über einen Zaun klettern. Vor dem Eingang schlängelt sich die offizielle Treppe. Eine Frau und zwei Männer, sichtlich erschöpft, kommen gerade oben an. Die Frau spricht von tausend Stufen.

In der Tat, es sind verdammt viele Stufen. Am unteren Ende der Treppe zittern die Knie. Besserung ist nicht in Sicht, denn die schmale Häusergasse, in der wir jetzt stehen, führt ebenfalls steil nach unten. Ein Pick-up hält an, der Beifahrer bietet an, uns mit nach unten zu nehmen. Wir springen dankbar auf, freuen uns über den Anruf im Hotel, den der Mann kurz darauf für uns tätigt. Dort werden wir bereits vermisst. Der Taxifahrer, der oben auf dem Hausberg Dschabal Qasyun vergeblich auf unsere Rückkehr vom Aussichtspunkt warten musste, hat bereits Alarm geschlagen. Ein dummes Missverständnis. Es war einfach nur der falsche Weg.

Später beim bereits bekannten Barbier im Quartier ist der Meister gerade mit dem Bart meines Freundes beschäftigt, als die Tür aufgerissen wird und ein Polizist hinein stürmt. Er zeigt auf meinen Freund und mich und berichtet dem Barbier etwas auf Arabisch. Dann fängt er an zu lachen und geht. Der Meister lacht auch und will wissen, was auf dem Berg passiert ist. Das Missverständnis hat Kreise gezogen.

Wie und warum bleibt offen.

Bis heute.

Weiterlesen

In Ruinen

Rumänien

In Ruinen

Taina Niederwipper und Matthias Steinbrecher lassen sich von George, einem jungen Rumänen, Filmemacher und Lebenskünstler, durch Bukarest führen.

Episode starten

Ein Meer aus Sand

Am Aralsee in der autonomen Republik Karakalpakistan

Ein Meer aus Sand

An einem der trostlosesten Orte der Welt manövriert sich Adriane Lochner in die Patsche und begegnet unglaublichen Menschen.

Episode starten

Eine Episode von

degoartig.de

Desiree Gorges

Desiree Gorges, geboren 1980, machte 2014 ihren Bachelor in Cross Media Kommunikation und arbeitet seitdem selbständig für Kunden, Brot und Reisen. Sie lebt in Köln, mit dem im Text erwähnten Freund ist sie mittlerweile verheiratet. Mit ihm gemeinsam hat sie auch vor über zehn Jahren die Leidenschaft fürs Reisen entdeckt. Fotos und Texte davon gibt es auf degoartig.de.

Leserpost

Schreib uns, was Du denkst!

  • Willi Gorges on 28. Juni 2017

    Ein interessanter Bericht über das Vorkriegssyrien spannend, informativ und authentisch. Es ist erschütternd wie der Krieg soviel Unheil über die Bevölkerung gebracht hat.

  • Daniel Bühler on 30. Juni 2017

    Wow! Das man bei den schlimmen Nachrichten über Syrien, die seit Jahren durch die Medien geistern, tatsächlich nochmals Lust bekommt, dorthin zu reisen, verdanken wir Berichten wie diesen! Danke Desiree! Solche Berichte müssen viel öfter geschrieben und gelesen werden, weil sie Hoffnung geben. Und die brauchen wir dringend heutzutage.

  • Katrin on 4. Januar 2022

    Hallo, ich habe eine kleine Hausarztpraxis. Inzwischen sind einige der aus Syrien Geflüchteten bei mir als Patienten angekommen. Ich kann nur sagen, dass ich große Hochachtung vor diesen Menschen habe. Selten ist mir eine Volksgruppe begegnet, bei der Höflichkeit, Benehmen, Bescheidenheit, Anstand und Ernsthaftigkeit so vorherrschend sind wie bei den Syrern. Vielleicht liegt es daran, dass sie so einer alten Hochkultur entstammen, die schon in weitentwickelten Städten lebte als wir noch keulenschwingend durch die Wälder liefen?

Übersicht

Alle Inhalte der Travel Episodes hübsch sortiert