Es dauert nur Minuten nach dem Blitzeinschlag, bis eine dunkle Rauchsäule in den Himmel steigt. In der weiten Landschaft fällt es mir schwer, die Entfernung zu schätzen, aber mit einem Blick auf die Karte wird die Nähe zu Nulato offensichtlich. Zum Glück liegt der kleine Ort auf der anderen Uferseite, trotzdem muss er ein paar Tage später evakuiert werden, wie ich flussabwärts erfahre. Die gesundheitliche Belastung durch die anhaltende, dichte Rauchentwicklung ist vor allem für Kinder und alte Menschen zu gefährlich, ein wiederkehrendes Problem im alaskanischen Sommer, vor allem wenn er so heiß und trocken ausfällt wie in diesem Jahr.

Weniger bedrohlich, dafür umso nerviger sind im alaskanischen Sommer natürlich die unzähligen Moskitos und, fast noch schlimmer, die black flies, die in Holy Cross auf mich zu warten scheinen. Die kleinen Kriebelmücken beißen zwar nicht so selbstverständlich wie die Moskitos stechen, hüllen den Paddler aber gerne in eine dichte Wolke aus Hundertschaften von Artgenossen, die mit ihrem hochfrequenten Surren und der penetranten Distanzlosigkeit das Hirn zermürben. Sie kriechen in Mund, Nase, Ohren und Augen, verfolgen einen bei Windstille selbst auf dem Fluss und beißen dann hin und wieder eben doch zu.
Ja, an dieser Stelle stelle ich die Schöpfung in Frage, wünsche mir kurzzeitig den Sturm zurück und greife zur Moskitonetzhaube. Mistviecher, nutzlose.
Spätestens mit der Siedlung Russian Mission erreiche ich den Lower Yukon und das Gebiet der Yup’ik Eskimos. Und ursprünglich das der Russen, die ihre Kolonie Alaska im 19. Jahrhundert erst besiedelten, dann aber doch 1867 für 7,2 Millionen Dollar an die USA verkauften. Der Zar brauchte Geld für seine Kriege, und die Wälder und Gewässer waren auf der Suche nach wertvollen Pelzen offenbar ohnehin leergejagt. Russian Mission wurde um 1836 als russischer Handelsposten gegründet. Russisch-orthodoxe Missionare gaben ihm dann seinen Namen, der bis heute geblieben ist. Die alte Dorfkirche auf einem Hügel am Ortsrand erinnert an die Geschichte. Doch das Wahrzeichen von einst verfällt im rauen Klima des Nordens.

Ein paar Kilometer stromabwärts finde ich eine sandige Landzunge zum Kampieren und will morgen früh starten, um rechtzeitig zum 4. Juli in Marshall zu sein. Die Kultur der Yup’ik mag für den Alltag hier draußen größere Relevanz haben, aber den amerikanischen Unabhängigkeitstag feiert man selbstverständlich auch im Busch von Alaska.

Gegen Mittag beginnt die Parade durch den Ort. Während in den Städten des Südens zeitgleich aufwändig dekorierte Flotten durch die Hauptstraßen ziehen, angeführt von der örtlichen Feuerwehr, den Highschool Cheerleaders oder den Oldtimern der Kriegsveteranen, knattert hier ein einsames Quad in Schrittgeschwindigkeit über die Schotterpisten von Marshall. Der Fahrer steuert nicht nur routiniert, gleichzeitig hält er auch auch den Fahnenmast mit der obligatorischen Flagge in die Höhe und sichert das Kleinkind auf dem Gepäckträger vor sich. Dem bunten Gefolge schließen sich immer mehr Dorfbewohner zu Fuß an, viele tragen stars & stripes, als Kopftuch, Mütze oder Gesichtsmaske. “Happy 4th!”, schallt es von überall, kleine amerikanische Fähnchen werden herumgereicht, Süßigkeiten an die Kinder verteilt. Nach der Parade treffen sich alle vor dem Gebäude der Stammesverwaltung zum ebenfalls obligatorischen Barbecue. Hot Dogs mit Nudel- und Kartoffelsalat inlusive Limodose für fünf Dollar, unwiderstehlich.

Der Wind hat inzwischen wieder Sturmstärke erreicht. Es ist kühl und nieselt. Die Prognose für die nächsten Tage sei nicht vielversprechender, erfahre ich und will trotzdem weiter, nach Pilot Station.

„Viele sagen, Pilot sei einer der schönsten Orte am Yukon. Wir leben in einem netten kleinen Tal, jetzt im Juli ist alles grün, im Herbst dann rot, gelb, orange, es ist so schön. Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben.“ Hat sie auch nie, Vivian Peters ist in Pilot Station aufgewachsen und will bis zum Ende hier bleiben. Rund 600 Menschen leben hier, das Delta ist nicht mehr weit. Die Schönheit, von der Vivian schwärmt, bezieht sich ganz sicher nicht auf die Häuser oder öffentlichen Gebäude, denn die sind im besten Fall funktionell, oft schäbig, aber immerhin vielfach bunt angemalt. Und sie schmiegen sich sanft zwischen zwei Hügelketten, die schroff in den Yukon abbrechen. „Ich liebe den Fluss, die Seitenarme, die Tundra. Das Land schenkt uns Blaubeeren, Lachs, Elchfleisch, alle Arten von Fisch. Und Muscheln kriegen wir auch, auf der anderen Flussseite.“ Vivian und ihr Mann Terry haben mich am Morgen aufgelesen. Mitten in einem heftigen Regenschauer steuern sie ihr Boot aufs Ufer zu, wo ich die letzte Nacht verbracht habe und bieten mir ihr Haus als Zuflucht an. Bei Kaffee wärme ich mich im Wohnzimmer auf. Anschließend begleite ich die beiden hinters Haus, wo sie den Fang des Tages verarbeiten: Königslachse.

„Ich schneide hier am Hals, über den Bauch, so, dass ich diese Teile dann noch halb-trocknen kann und sie sich über den Winter halten.” Vivian beugt sich über einen groben Holztisch, den Terry gezimmert hat, genauso wie das Smokehouse zum Räuchern, dessen Dach er nach vorne hin verlängert hat, damit seine Frau im Trockenen arbeiten kann. Das Zerlegen und Schneiden der Lachse ist ihre Aufgabe. „Ich habe meiner Mutter dabei zugeschaut und so gelernt. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich es zum ersten Mal probiert.” Vivian arbeitet konzentriert, sie setzt die Schnitte mit ihrem für die Region typischen Eskimomesser mit einer halbrunden Klinge. „Mein Messer heißt Ulu, es ist aus Eisen, aus dem Blatt einer Kreissäge.” Im Yukon River leben viele Fischarten, aber für Vivian und die Menschen am Fluss dreht sich alles um den Lachs. „Die meisten essen den ganzen Sommer lang Lachs. Davon kann man nie genug bekommen. Du kannst ihn ja auf verschiedene Arten zubereiten, du kannst ihn kochen, frittieren, backen, grillen. Viele Familien sitzen draußen ums Feuer, grillen ihn und reden miteinander. Das gehört einfach dazu. Wir leben von ihm, ich kann mir nicht vorstellen, die ganze Zeit nur Fleisch zu essen. Sogar meine Kinder mögen kein Fleisch mehr. Sie wollen Fisch, sie wollen Lachs.“

Und am liebsten den Chinook, den Königslachs, keiner ist größer, gesünder, aber auch seltener. Seit Jahren nimmt die Zahl der Kings ab, so sehr, dass sie niemand mehr fischen durfte, weder kommerziell noch für den Eigenbedarf. Fangzeiten und –quoten werden in Alaska vom Department of Fish and Game festgelegt. Die Behörde überwacht die Wanderung der Lachse und entscheidet in Abhängigkeit von der Zahl der Fische im Fluss, wann der beste Zeitpunkt zum Fischen ist. Lachse ziehen in der Regel pulsartig in Schwärmen flussaufwärts. Der Königslachs ist eine von drei Arten, die im Yukon leben, oder besser unterwegs sind. Nach dem Schlüpfen in den Laichgebieten geht es Richtung Meer, wo die Fische bis zu ihrer Geschlechtsreife leben. Nach ein paar Jahren schwimmen sie dann zurück zum Geburtsort, manchmal mehr als 3000 Kilometer stromaufwärts. Dort laichen die Lachse ab und sterben. Warum gerade die Zahl der Königslachse so dramatisch gesunken ist, weiß niemand so genau.
“Ich glaube, es gibt keine einfache Antwort”, meint Biologe Kyle Schumann von der Fischereibehörde. “Es ist wahrscheinlich eine Kombination vieler verschiedener Ursachen. Nicht nur im Süßwasser, auch im Meer. Denn obwohl wir genügend Chinooks durch Alaska nach Kanada in die Laichgebiete bekommen, scheinen die sich dann nicht genügend zu reproduzieren. Das deutet auf ein Problem im marinen Umfeld hin.”
Kyle leitet die Sonarstation der Fischereibehörde in Pilot Station. Jedes Jahr im Sommer ziehen er und sein Team für Monate in ein Zeltcamp und kontrollieren den Weg der Lachse im Yukon River. “Unser Sonar-Computer läuft gerade. Er ist unten bei der Boje mit dem Echolot verbunden.” Die Schallmessgeräte liefern rund um die Uhr Daten, wie viele Fische sich gerade im Yukon tummeln. Zusätzlich werden Testnetze im Fluss platziert und täglich kontrolliert. Erst dann läßt sich hochrechnen, welche Fische in welcher Zahl wann flussaufwärts ziehen. Kyle wirft für mich einen Blick auf die bisher gesammelten Daten.

“Also, bis zum 6. Juli kamen hier knapp 1,25 Millionen Summer-Chums, Ketalachse, vorbei. Das ist ein bisschen wenig für Yukon-Verhältnisse. Ich glaube, die Vorhersage lag urprünglich zwischen 1,6 und 2,2 Millionen oder so. Da werden wir also am Schluss eher am unteren Ende liegen. Es reicht aber immer noch, damit die Manager kommerzielles Fischen und für den Eigenbedarf erlauben.”
Die Behörde und ihre Mitarbeiter werden nicht überall geschätzt, denn die Strafen für das Nichtbeachten der Beschränkungen sind drastisch und reichen von Geldzahlungen über Konfiszieren von Ausrüstung inklusive des Bootes bis hin zu Gefängnisstrafen. Aber wohin unkontrollierte Jagd und Fischerei führen können, hat die Geschichte wiederholt gezeigt, gerade in Alaska, wo Pelzjäger schon früh die Seeotterpopulation bis zur Ausrottung dezimiert hatten.
Leserpost
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feli on 24. Januar 2017
Ich bin so beeindruckt von den Bildern und Videos! Herzlichen Dank für diese wundervolle Episode!
Liebe Grüße von einer anderen Weltreisenden aus Argentinien :)
feli
Belinda on 26. Januar 2017
Es sind schöne Bilder, ja, aber was mich etwas störte, waren die teilweise sehr un-
natürlichen Kommentare bzw. Erklärungen und die Betonung der Sätze dazu. Ein wenig wie, wenn man einem Kind was erzählt.
Einfach mal ohne Kontrolle reden oder nicht darüber nachdenken, wie man vielleicht am besten rüber kommt, täte gut ;-). Es wirkte auf mich irgendwie nicht authentisch.
Trotzdem Respekt…so ganz allein…, Belinda.
Sabrina on 21. August 2019
Ich bin beeindruckt von dem Mut und der Leistung, die Dirk da an den Tag, rsp. Wochen, Monate legte – grade mit einem Birkenrindenkanu unterwegs zu sein. Bin soeben von der Yukon-Kanu-Gruppenreise mit ihm zurück. Ja, er hat seinen eigenen Stil, seinen Willen, sein Rhythmus. Aber das funktioniert so ganz gut. Für mich ist er halt auch ein Inspirator, die eigenen Träume, das Wilde zu leben. Im Büro wird man schneller alt, das ist klar. Der Yukon hat mich sehr inspiriert und beeindruckt. Bestimmt werde ich mal wiederkehren… Schliesslich wird er Teil des eigenen Seins. Zu unseren Herausforderungen als Mensch gehört sicher auch, sich selbst zu finden und den echten eigenen Kern zu leben. Das allerdings bedingt die Fähigkeit und Möglichkeit, in einer gewissen Unabhängigkeit leben zu können. Das eine begünstigt das andere. Aber der Weg mag manchmal lange sein… Sabrina
Sea on 4. Juni 2020
So beautiful, I love your photo. Thank you to sharing with us
Scarlet on 26. Januar 2021
I am fond of the oceans but kinda afraid of rivers, especially big rivers. The reason why I am is that I used to be a fan of „River monsters“ series on Discovery lol. Maybe one day I’ll follow your plan, but for this time Imma stick around watching your journey through the computer screen.