Blau, rot, schwarz. Breite Streifen zieren den mächtigen Schornstein des Fährschiffs. Ich drehe mich um, und sehe das Festland im Küstendunst verschwinden, nur noch einige Windräder schauen heraus und drehen sich stoisch, mir scheint, sie winken mir Adieu. Es ist ein Abschied. Ein Abschied von der lärmgetränkten Stadtluft, dem Getöse der zivilisierten Gesellschaft.
Ich schaue wieder nach vorne, dorthin, wo das Wasser vom Bug des Schiffes geteilt wird. Bedeckte eben noch ein stumpfer Schleier den Himmel, reißt über uns bereits die Wolkendecke auf, und die weißen Wolkenfetzen treiben fröhlich auf tiefblauem Grund, als gäbe es nichts Schöneres.
Möwen fliegen um das Schiff, lassen sich schreiend fallen und wieder hinauf treiben, und begleiten uns eine gute Weile. Mein Blick heftet sich wieder an den Horizont, und es dauert nicht allzu lang, bis ich in der Ferne die Konturen einer Insel erkenne. Dies muss er sein, der Sehnsuchtsort, der auf meiner Deutschlandkarte mit einem geschwungenen „X“ gekennzeichnet ist: Das Zauberland.
Etwa 16 Kilometer dürfte die Insel lang sein, und an der breitesten Stelle nicht mehr als einige hundert Meter messen, schätze ich anhand der Karte. An einem Tag könnte man sie gemächlich umrunden. Die zum offenen Meer gerichtete Nordseite ist zu gutem Teil von einer Sandbank bedeckt, gen Süden erstreckt sich bei Ebbe der Wattschlamm, der die Heimat von allerlei Meeresgewürm und Muscheltier ist.
Müde war ich, körperlich erschöpft nach der langen Anreise, aber auch mein Kopf war versandet, ohne Antrieb. Doch schon jetzt, noch auf dem Schiff, hat mir der kräftige Nordwind einen guten Teil des Hirns freigeblasen – genau das habe ich mir erhofft.
Juist liegt genau auf dem 7. Längengrad.
Ich werfe einen Blick auf die Brücke, wo der Kapitän routiniert die Fähre durch die schmale Rinne steuert. Hier sitzt auch Galt Normann, ein sogenanntes Original, ein Juister, der bis 2010 einen kleinen Wagen hatte, aus dem er Fischbrötchen verkaufte. Er wirkt wie ein Mensch, der viel über die Insel weiß. Ich frage ihn nach Töwerland, dem Zauberland.
Ich werde nicht so schnell aufgeben, Galt!
Mein Interesse ist geweckt, ich möchte herausfinden, was es mit der Zauberei hier auf sich hat.
Freundliche Menschen sollen hier leben, hat man mir erzählt, die für den mit dem Schiff anreisenden Alltagsflüchtling ein unaufdringliches Angebot an Unterkünften, Speisen und leichtverdaulichen Unterhaltungsangeboten bereit halten. Zwar hat die Insel auch einen Flugplatz, doch reisen die meisten Menschen mit diesem Schiff an. Bedingt durch die Gezeiten und Untiefen zwischen der großen Festlandmasse und der Insel kann die Fähre nur einmal täglich verkehren.
Kommt dir, lieber Leser, die Idee, dass dies doch einigermaßen unbequem ist, möchte ich das Gefühl beschreiben, das mich (und vielleicht auch den einen oder anderen Passagier) auf diesem Schiff ergriffen hat: Gerade die erschwerte Anreise weckt in besonderem Maße meine Entdeckungslust, das Gefühl, einen wahrhaft abgeschiedenen Ort zu erreichen.
Ein Land abseits der Welt.
* * *
Leserpost
Schreib uns, was Du denkst!
Anja Braun on 21. August 2016
Hoi Johannes Klaus
Kurz zur Erklärung: Hoi (das kennen auch die Holländer)- ist eine informelle Begrüssung im Fürstentum Liechtenstein, das für seine Duzkultur bekannt ist- nicht nur für Schwarzgeldkonten….
Via Newsletter von Utta (Juist-Blog) bin ich in den Genuss des Berichtes gekommen und kann-nach etlichen anderen Berichten- endlich einmal sagen: „Ja, genau, das ist es!“ Mir gefällt insbesondere die Mischung aus Poesie und …. nennen wir es- feine Ironie… Darf ich einen Link dazu auf meiner Website veröffentlichen (Über mich- Entspannung gesucht)? Wird zwar nicht so wahnsinnig oft besucht, aber Kleinvieh….
Derweil herzlichen Dank für dieses Kleinod und freundliche Grüsse, Anja Braun
Johannes Klaus on 22. August 2016
Klar darfst du das, Anja! Liebe Grüße!
Johanna Stöckl on 22. August 2016
Johannes, ich liebe diese Reportage!
Großartig und Gruß aus München,
Johanna
Johannes Klaus on 22. August 2016
Herzlichen Dank, liebe Johanna!
Oliver on 2. September 2016
Danke Johannes für den tollen Bericht. Super schöne Fotos und kleine Videos. Ich fahre mittlerweile seit über 16 Jahre mindestens einmal zu meinem Lieblingslatz Juist. Hier spannt man aus und tank sich fürs Festland wieder auf. Aus dieser Liebe zum Töwerland ist „JUISTIG“ entstanden. Andenken und Mitbringsel von Juist. Schau mal rein! http://www.juistig.de
Johannes Klaus on 18. September 2016
Danke dir!
Daphne on 2. September 2016
Ich habe jetzt ein ganz breites Grinsen im Gesicht. Herrlich, die wunderschönen Fotos, die Filme, vor allem die Geräusche, die „das Juistgefühl“ beleben, der tolle Text dazu… Danke! Und willkommen, lieber neuer Juistfreund. :-)
Johannes Klaus on 18. September 2016
Vielen Dank, liebe Daphne!
Renate Bürger on 19. September 2016
Vielen Dank für die wunderbaren Juist-Episoden. Diesen Zauber der Ruhe und des naturbewegten kann ich seit Jahren so mitfühlen, beschreiben und genießen.
Eines finde ich schade: es fehlen bei den beschriebenen Personen die Frauen – die gibt es in ganauso beeindruckender Weise – z. B. in der Töpferei im Log, beim Strandsport, eine Pfarrerin und unendlich viele mehr :)
ahoi
Johannes Klaus on 8. April 2017
Ein Grund mehr, zurückzukehren! .)
Stella on 3. Oktober 2016
Ach Johannes, jetzt bin ich hier so drüber gestolpert und ganz begeistert. Eigentlich habe ich es nicht so mit der deutschen Küste – klar sie ist schön, aber fesselt mich nicht unbedingt – aber was ich eben mag, sind Menschen. Und es scheint, als hättest du ein paar tolle kennengelernt. Ich freu mich!
Johannes Klaus on 8. April 2017
Vielen Dank, Stella!