Ruanda
Mister Guhonda und die letzten Gorillas
Ich kauere im Dickicht des Bambuswalds an einem Vulkan in Ruanda. Ein Knacken. Und plötzlich steht er vor mir – Mister Guhonda, der gewaltigste Silberrücken auf dieser Erde. Von Susanne Maier.
Dirk Rohrbach hat so ein Lebensstil schon immer fasziniert: allein in der Wildnis Alaskas. Elf Hunde werden zu Gefährten und Polarlichter zum einzigen Lichtschein in eiskalten Winternächten.
Es ist mein zweiter Besuch bei Andy. Im Frühjahr letzten Jahres habe ich schon mal Haus und Hunde hüten sollen, weil er zu einem Versammlungstermin nach Whitehorse in Kanada reisen musste. Das ist einer der Preise für die Freiheit, abgeschieden in der alaskanischen Wildnis zu leben. Man braucht immer jemanden, der sich um die Tiere kümmert und dafür sorgt, dass das Haus im Winter nicht einfriert.
Und der Winter ist ja bekanntlich lang in Alaska, mindestens sechs Monate lang.
Wenn im Oktober der Dauerfrost einsetzt und der erste Schnee permanent liegen bleibt, müssen die Vorbereitungen auf die dunkle Jahreszeit eigentlich abgeschlossen sein. Die Lachse sind gefangen, der Elch hoffentlich geschossen, in den Vorratstruhen stapeln sich die Gefrierbeutel mit portionierten Fleischhappen, getrocknetem Gemüse und eingemachten Beeren. Und das Brennholz vor der Hütte sollte ein paar Wochen halten. Denn bis der Fluss endgültig zugefroren ist, bleibt der Buschflieger die einzige Verbindung zur Außenwelt.
Andy mag die Abgeschiedenheit. Der Aussteiger kam vor vielen Jahren aus dem Osten Amerikas nach Alaska. Seit 2008 lebt er jetzt hier am Yukon auf einem gut sechzehn Hektar großen Stück Land, das er einst einem Indianer abkaufte. Straßenanbindung gibt es keine, auch kein fließendes Wasser, vom Yukon mal abgesehen. Strom liefern Solarpaneele, ein Windrad und im Winter ein Generator. Andy ist Selbstversorger, durch und durch.
‘Mir gefällt die Tatsache, dass all meine Nahrung vom Land hier kommt, mit Ausnahme von Nacho Chips.’, scherzt er. ‘Wenn ich einen Weg fände, Nacho Chips zu anzubauen, dann wäre ich zu 100 Prozent autark. Ich hätte meine Tomaten, meine Zwiebeln, meine Paprika, meine Nacho Chips und mein Bier. Dann wäre ich ziemlich happy.’
Ich hatte Andy 2012 zufällig kennengelernt. Damals war ich im Juli mit meinem Kanu aus Birkenrinde auf dem Weg zum Beringmeer an seinem Grundstück angelandet. Die Einladung zum Lachsdinner habe ich gerne angenommen und bin danach weiter im Kontakt geblieben. Im Garten sprießen im Sommer Salate und Gemüse, Kraut, Romanesco, Bohnen, Karotten, im Gewächshaus nebenan züchtet er Tomaten und Paprika. 80 Prozent seiner Nahrung kommt von hier, oder vom Jagen und Fischen. Die Lachse braucht er nicht nur für sich, sondern vor allem für seine Hunde.
Elf Alaskan Huskies leben hinter dem selbstgebauten Holzhaus.
Im Winter zieht Andy mit ihnen über den zugefrorenen Yukon und hält die Strecke für das legendäre Yukon Quest Hundeschlittenrennen zwischen Whitehorse und Fairbanks frei. ‘Diese Lebensweise ist die Identität von Alaska. Die Vision von den Pionieren in der Wildnis.’, kommentiert der 57jährige nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. ‘Wenn die Menschen an Alaska denken, denken sie zu allererst an Menschen, die in der Wildnis leben, jagen, Fallen stellen, fischen, sich selbst ernähren. Und die geht verloren, wenn niemand mehr so lebt. Wir sind jetzt eine bedrohte Spezies.’ Was wie ein Scherz klingt, ist ernst gemeint. ‘Es gibt nur sehr wenige junge Menschen, die sich für diese Lebensweise entscheiden. Ich fürchte, dass dieser Lebensstil und das Wissen darum verschwinden werden. Die Menschen haben nicht mehr die Energie, die es braucht, um so zu leben. Und ich glaube, dass der Gesellschaft viel verloren geht, wenn wir als Menschen die Fähigkeit verlieren, in einem solchen Umfeld zu überleben.’
Mich hat ein solches Leben schon immer fasziniert. Vermutlich seit ich Ende der 70er-Jahre ‘Der Mann aus den Bergen’ über die Geschichte von Grizzly Adams und seinem halbzahmen Braunbären Ben im Fernsehen verfolgt habe. Blockhausromantik in meinem Kopf. Damals, als Elfjähriger, ahnte ich natürlich nicht mal annähernd, welchen Aufwand das Leben in der Wildnis bedeutet, welche Entbehrungen man in Kauf nehmen muss. Aber auch welche Befriedigung es verschaffen kann.
Für gut zwei Wochen habe ich nun Gelegenheit, das ansatzweise zu erfahren. Andy muss wieder zum Treffen eines Gremiums, das sich um die Regulierung der Lachswanderung im Yukon kümmert. Viel Zeit zum Besprechen bleibt uns nicht, schon am nächsten Morgen wird Andy mit Gary nach Eagle fliegen, und von dort über Fairbanks weiter ins kanadische Yukon Territory.
Der bald 80jährige Pilot, der auch mich die kurze Strecke über den noch teilweise offenen Yukon zu Andys Grundstück am Calico Bluff gebracht hat, wirkt rüstiger als seine halb so alte Maschine. Aber die kleine blaue Piper trotzt selbst den kältesten Temperaturen zuverlässig. Und bis der Yukon River im weiterhin milden Winter stabil zufriert, bleiben sie und Gary die einzige Verbindung zur Außenwelt.
* * *
Acht Uhr morgens, stockfinster. Draußen minus 23 Grad Celsius. Kaffee aus Yukon-Wasser. Im Dog Yard rascheln die Ketten, die Hunde haben Hunger.
Es ist fast 8 Uhr, als ich aufwache. Draußen noch immer stockfinster. Erst als sich meine Augen an die Dunkelkeit gewöhnen, erkenne ich durchs Fenster die Umrisse der Fichten und Bergrücken am anderen Yukonufer, die die fahlen Strahlen des Mondes zeichnen. Ich schäle mich aus dem Schlafsack, schlüpfe in die Fleecehose und schlurfe im Schein der Stirnlampe über die Treppe runter ins Erdgeschoss.
Andys Cabin hat dort zwei Räume. Das Wohnzimmer, das nachträglich angebaut wurde, flankieren ein verschlissener Zweisitzer und ein ramponierter Recliner, ein Fernsehsessel, in dem Andy normalerweise den Morgenkaffee genießt und den Radionachrichten lauscht, wenn der Empfang mal halbwegs passabel ist. In einer Ecke steht ein runder Arbeitstisch, daneben stapeln sich zwölf Eimer mit Schraubdeckeln aus dem Baumarkt, die er mit Yukonwasser befüllt hat. Nachdem er ein Loch ins Eis geschlagen hatte. An der Wand hängt ein selbst gezimmertes Regal mit einer umfangreichen Auswahl an Gewehren verschiedener Kaliber für die Jagd oder um Bären zu vertreiben, die sich im Frühjahr hungrig seiner Hütte nähern. Rechts darunter die zwei Containerflaschen mit selbstgebrautem Bier, auf das er sich vor allem im Sommer nach einem langen, arbeitsreichen Tag freut. Komplettiert wird der Raum durch einen mächtigen Ofen aus Gusseisen. Wenn es draußen richtig kalt wird, muss Andy ihn zusätzlich befeuern, ansonsten reicht der Hauptofen in der Küche nebenan.
Ich blicke auf das Thermometer vorm Fenster, minus 10 Grad Fahrenheit, also nur minus 23 Grad Celsius.
Das ist warm für eine Region, die im Winter regelmäßig in Minustemperaturen von 40 Grad und darunter erstarrt. Trotzdem lege ich ein paar Scheite nach. Als ich vorgestern in Deutschland in den Flieger stieg, hatte sich der Körper an zweistellige Plusgrade gewöhnt und braucht wohl noch eine Weile für die Umstellung. Erstmal Kaffee, denke ich.
Normalerweise läßt Andy das heiße Wasser durch einen Filterhalter in die Thermoskanne tropfen, für mich hat er zusätzlich die elektrische Kaffeemaschine stehen gelassen. Ich lege den Schalter der Wasserpumpe um und zapfe so die Menge für acht Tassen aus dem Wassereimer unter der Spüle, in dem ein Schlauch steckt. Auch wenn der Aufwand vielleicht ein wenig größer ist, im Busch muss niemand auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichten. Selbst Fernsehen und Internet sind dank Satellitentechnik möglich, obgleich die Verbindung bestenfalls antiquierte ISDN-Standard-Geschwindigkeit erreicht und geradezu obszön überteuert ist.
Während der Kaffee durch die Maschine läuft, ziehe ich die Daunenjacke über und stapfe die rund 20 Meter durch den Schnee zum Outhouse, Alaskas legendärem Plumpsklo. Andy hat die Sitzfläche mit einer dicken Styroporplatte isoliert, die für überraschend warmen Komfort sorgt. Und wenn es mal länger dauert, bietet unterhaltsame Lektüre Zerstreuung. Oder der freie Blick auf den majestätischen Calico Bluff, der unweit vom Grundstück schroff in den Yukon abbricht. Die Gewohnheit, das Papier ebenfalls in die Grube zu werfen, muss ich allerdings aufgeben. Das würde schnell zur Überfüllung führen. Deshalb steht ein kleiner Eimer bereit. Wenn der voll ist, wird der Inhalt zusammen mit anderem Müll in einer rostigen Metalltonne verbrannt.
Im Dog Yard rascheln die Ketten, als ich mich auf den Rückweg zum Haus mache. Die Hunde wissen, jetzt ist die Zeit, in der ich einen von ihnen ins Haus hole, wo er sich zusammen mit Husky-Opa Solo aufwärmen darf. Ihre Augen funkeln im Licht der Stirnlampe, als ich das Areal der Hütten erreiche.
Alle sind inzwischen erwacht und schwänzeln aufgeregt trabend in meine Richtung. Bis die Kette sie zurückhält und sie meine Aufmerksamkeit durch Winseln, Jaulen und Bellen auf sich ziehen wollen. Heute ist Iceberg dran, der schneeweiße Rüde, Andys bester Leithund, auch wenn er bei einem Gerangel im letzten Winter ein Auge verlor.
Ich löse den Karabiner am Halsband, und Iceberg sprintet auf die Veranda in freudiger Erwartung der Ofenwärme und Zuneigung, die er selbstverständlich ebenfalls bekommen wird. Zum Frühstück gibt’s Granola für mich und Hundefutter mit einer Kelle heißem Wasser für die Hunde. Danach ‚Scoop the Poop’. Also schnappe ich mir Schaufel und Eimer und sammle Gefrorenes, das am Ende auf einer ständig wachsenden Halde abseits des Grundstücks landet. Wer ‘Mushen’, also mit Huskies die winterliche Weite erkunden will, muss auch bereit sein die weniger glorreichen Taten zu vollbringen.
Überhaupt habe ich den Eindruck, als Hundeschlittenführer ist man in erster Linie Landwirt und nicht Abenteurer oder Sportler.
Die Versorgung der Tiere verlangt ähnliche Disziplin wie die eines Milchbauern, bei dem die Kühe meist über allem stehen. Hier draußen sind es die Hunde. Und der Haushalt mit allem, was dranhängt, wenn man ‚off the grid’, ohne Anbindung ans Netz, lebt.
Mein nächster Gang führt mich rüber zum ‚Power Shack’, in dem Andy seine Batterien verkabelt hat. Sie liefern den Strom fürs Haupthaus und die elektrischen Werkzeuge, die sich auf einer Werkbank im selben Schuppen verteilen. Mit ihnen bearbeitet Andy gelegentlich Flusskiesel und Tiergeweihe, fertigt daraus Schmuckstücke, die er hin und wieder verkauft, meist aber an seine Gäste verschenkt. Ich checke den Ladezustand der Batterien, der in den letzten beiden Tagen doch deutlich gefallen ist. Nach ein paar Versuchen knattert der kleine portable Generator, der in den kommenden Stunden bleifreies Benzin in Kilowatt verwandeln wird. Zunächst um einen Miniheizlüfter zu betreiben, der den Gemüsekeller in Andys neuem Haus vor dem Einfrieren bewahrt. Dort lagern vor allem Kartoffeln und Rüben in großen Plastiksäcken.
Das neue Haus entsteht gerade gut hundert Meter entfernt vom alten und soll im kommenden Winter fertig sein, mit mehr Platz und vor allem einem ausgetüftelten Kachelofen nach europäischem Vorbild, der das Brennholz wesentlich effizienter nutzen wird als die gusseisernen Dinosaurier in der alten Hütte. Ich heize das Feuer im kleinen Ofen des Schuppens wieder an, die Batterien dürfen nicht dauerhaft Kälte ausgesetzt sein, sonst verlieren sie ihre Ladekapazität und irgendwann auch die Funktion.
Inzwischen ist die Sonne aufgegangen. Ihre Strahlen zaubern ein trügerisch warmes Orange auf die verschneiten Hänge auf der anderen Yukon-Seite.
Hier am Südufer wird sie sich bis März nicht blicken lassen. Ich starte das Schneemobil, der Holzvorrat schwindet zunehmend. Aber in den Wäldern und der Uferzone am Fluss gibt es reichlich Nachschub.
An den Umgang mit der Motorsäge muss ich mich erst gewöhnen, am Ende aber fühle ich mich nach jeder Ausfahrt ein bisschen wie ein Jäger, der mit seiner Beute nach Hause kommt.
Statt mit Elch, Karibu oder Schneehuhn allerdings nur mit Fichte, Espe und Birke, in fußlangen Stücken, die ich anschließend gleich spalte und auf die Stapel beim Haus, Schuppen und der Sauna verteile. Dort, in der kleinsten Blockhütte auf dem Grundstück, werde ich später auch ein Feuer im Ofen schüren, um damit Wasser und die Luft zu erhitzen und am Ende des Tages eine wohltuende Eimerdusche zu nehmen. Solange es hell ist aber haben die Hunde Vorrang…
* * *
Ein Dutzend Hunde, ein Schlitten, ein Trail durch die Wälder. ‘Go!’ Auch ein alaskanischer Traum. Der aber so gar nichts mit der Realität zu tun hat, zumindest nichts mit meiner.
Was wahrscheinlich an meinem noch sehr deutlich ausgeprägten Rookie-Status liegt. Wobei die Rookies, die Neulinge bei den Hundeschlittenrennen, nur so genannt werden, weil sie zum ersten Mal dabei sind, und nicht etwa, weil sie noch keinen Peil haben. So wie ich. Von wegen einfach draufstellen, und los geht’s.
Diese Vorstellung ist genauso naiv wie die, mit einem Kanu aus Birkenrinde unbeschadet bis zum Beringmeer reisen zu können. Bei meiner Tour damals hatte ich schon am zweiten Tag einen Fast-Totalschaden, als das Boot im Sturm an Steinen zerschellte. Nach der erfolgreichen Reparatur musste ich dann im Schnitt alle zwei Tage lecke Stellen flicken. Aber das Kanu hat gehalten und mich mehr als 3000 Kilometer auf dem Yukon durch Kanada und Alaska getragen. Von so einem Erlebnis bin ich mit dem Hundeschlitten noch weit entfernt, also von einer epischen Reise durch die Wildnis, obwohl sie ganz oben auf meiner ‘bucket list’ steht.
Ich schirre jeweils fünf Hunde für meine ersten Trainingsfahrten vor den Schlitten. Der weiße Iceberg oder der rote Kugeran als Leader, der schwarze Gambo in der Swing-Position direkt dahinter, und in der Rolle als Wheeldogs schließlich die nimmermüden Dickel und Brigus. Dieses erste Team harmoniert nicht nur exzellent, es ist zugstark und vor allem hört es halbwegs zuverlässig auf die Kommandos ‘Gee !’ für rechts, ‘Haw !’ für links, ‘Easy !’ für langsamer und ‘Whoa !’ für Halt, sogar wenn ich sie gebe. Team 2 besteht aus der einzigen Lady im Kennel, der kleinen, wuseligen, mitteilungsbedürftigen Topaz in der Führungsrolle, dem schüchternen Riesen Fogo, den man jedes Mal unter viel Krafteinsatz zum Schlitten zerren muss, weil er das Anschirren so sehr verabscheut, dem hinterlistigen Carboneer, der bei jeder Gelegenheit ausbüchst um sich vorm Schlittenziehen zu drücken, und dem Vater-Sohn-Gespann Shilling und Jack, die nebeneinander als Wheeldogs unmittelbar vor dem Schlitten wie ein Uhrwerk traben.
Trotzdem bleiben diese Fünf mein Chaos-Team.
Denn wenn es drauf ankommt, macht jeder, was er will, egal wie oft ich meine Kommandos rufe, und selbst wenn ich mit dem ausgestreckten Arm die Richtung auch visuell noch vorgebe. Manchmal bin ich selbst nach einer nur halbstündigen Seerunde regelrecht heiser, vom Bestreben und der Überzeugung getrieben, das gutes oder im Zweifel auch mal lautstarkes Zureden irgendwann schon den Erfolg bringt. Nicht selten aber muss ich absteigen, die Hunde, die sich inzwischen durch wahllose und weitgehend sinnbefreite Richtungsänderungen heillos mit ihren Zugleinen verheddert haben, entwirren, um anschließend Topaz am Geschirr auf den rechten Pfad zu führen. Wenn sie mich dann aus ihren stahlblauen Augen fragend anblickt, schmelzen alle Grollgedanken dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. Die Waffen der Hundeweibchen…
Neben der Kontrolle der Huskies ist aber auch das Handling des Schlittens durchaus mit einer steilen Lernkurve verbunden. Festhalten allein reicht jedenfalls nicht, wie ich nach einigen Stürzen im Frühjahr schon feststellen musste. Wobei selbst dann Festhalten die einzige Garantie ist, die Hunde zum Anhalten zu bewegen. Rufe, und seien sie noch so panisch oder fordernd, scheren sie überhaupt nicht, solange der Schlitten hinter ihnen mit seinen Kufen hörbar durch den Schnee schleift, mit oder ohne Besatzung.
Die Hunde scheinen genau zu wissen: wenn sie von sich aus stoppen, rammt der Schlitten ungebremst zumindest den Wheeldogs in die Beine.
Das ist nicht nur schmerzhaft, sondern kann auch zu furchtbaren Verletzungen führen. Also lieber weiterlaufen, bis der Schlitten kippt und sich irgendwo verkantet. In der Tat steht man als Musher, als Hundeschlittenführer, nicht nur entspannt hinten drauf. Vielmehr muss man stets ein wachsames Auge auf den Trail haben, Unebenheiten erkennen, vor Kurven rechtzeitig bremsen, in die Knie gehen und das Gewicht verlagen. Das erinnert stark an einen alpinen Skiläufer, der auch ständig vom Innen- auf den Außenski verlagert und je nach Richtung belastet oder umsteigt.
Da der Yukon noch nicht stabil und ebenmäßig zugefroren ist, muss ich die Trainingsrunden erstmal auf zwei Seen hinterm Haus beschränken. Alternativ folge ich schließlich einem schmalen, kurvigen Pfad, den Andy durch die Wälder und über eine Bergkuppe zum Seventymile River geschlagen hat. Und hier passiert es dann. Mit Schnee- und Eisbremse reguliere ich zwar zunächst erfolgreich die Geschwindigkeit, übersehe aber eine Bodenwelle, die den Schlitten ruckartig aus der Spur wirft. Ich pralle frontal gegen eine zehn Zentimeter dicke Fichte.
Die Wucht, getriggert vom Zug der laufwütigen Hunde, läßt den Stoßfänger am Schlitten bersten, und mehr noch, die Fichte bohrt sich förmlich einen halben Meter weit in die ohnehin brüchige Bodenplatte aus Plastik. Dann plötzlich Stillstand. Mein Team schaut mit verdutzten Augen zu mir, und ich zu ihnen. Keinem von uns ist etwas passiert, aber der Schlitten hinüber. Ich muss die Zugleine der Hunde lösen, bevor ich den Schlitten befreien kann. Anschließend schirre ich die Huskies wieder an und hoffe, die verbliebene Fläche der Bodenplatte hält noch ein paar Kilometer. Wir schnaufen tief durch und treten etwas bedröppelt die Rückreise an, jetzt doppelt vorsichtig, denn vor uns liegt noch eine halsbrecherisch steile Abfahrt.
Am nächsten Tag werde ich trotzdem wieder auf diesen Trail ziehen, mit einem Ersatzschlitten und in der Hoffnung, das Trauma so schnell hinter mir zu lassen. Als ich Andy mein Missgeschick später per Mail beichte, beruhigt er mich. Das gehöre zum Mushing, und den Schlitten wollte er ohnehin schon lange austauschen.
Der Mensch wird niemals vollständig die Kontrolle behalten, auch das macht die Faszination aus, mit Hunden durch die winterliche Wildnis zu ziehen.
* * *
Zwei Wochen allein in der arktischen Wildnis gehen zu Ende. Wenn heute Nacht wieder die Polarlichter tanzen, fällt der Abschied noch schwerer.
Kurz nach vier Uhr nachmittags, dunkelste Nacht draußen. Ich tippe diese Zeilen im Schein meiner Stirnlampe in den Laptop. Wer den Strom jetzt im Winter mit einem kleinen Generator produziert, spart, wo er kann. Draußen heulen die Hunde. Ich würde am liebsten einstimmen. Die tiefen Schneewolken haben sich verzogen, längst strahlt der inzwischen fast volle Mond wieder aufs weiße Land. Die Temperaturen sind innerhalb weniger Stunden um zehn Grad gesunken. Minus 20 Grad Celsius zeigt das Thermometer. Habe heute noch mal ordentlich Holz gemacht, durchgefegt und abgewaschen, Biomüll auf den Kompost gekippt, morgen noch der Toiletteneimer und den Beutel mit dem brennbaren Abfall in die rostige Metalltonne. Andy wird den Inhalt nach seiner Rückkehr anzünden. Müllentsorgung im Busch von Alaska.
Wenn heute Nacht wieder die Polarlichter tanzen, fällt der Abschied noch schwerer.
Zwei Wochen allein in der arktischen Wildnis gehen zu Ende. Abermals, wie auch bei meinen Reisen mit Rad oder Kanu, habe ich den Eindruck, das Reduzieren des Alltags auf Essenzielles, fasziniert mich an diesem Leben. Es braucht keine ‘Simplify’-Parolen, um zu erkennen, wie sehr die Einfachheit entschleunigt, und dass Hightech-Errungenschaften vielleicht vordergründig für mehr Komfort sorgen, man sich am Ende des Tages aber nicht zwangsläufig auch erfüllter fühlt. Vielleicht drängen deshalb so viele Zivilsationsmüde in die Wildnis, und sei es nur für einen kurzen Moment.
Und so werde ich gleich wieder raus in die Dunkelheit stapfen, fünf getrocknete Ketalachse, die Andy im Herbst mit seinem Fischrad zu Hunderten aus dem Yukon gefischt hat, vom Rack nehmen und für die Hunde zerteilen. Jeder bekommt einen Halben. Und ich ein Viertel, gebraten auf dem Gasherd in der gusseisernen Pfanne.
Mild war der Winter bisher, sagen alle. Aber heute Nacht könnten die Werte weiter, auf unter minus 30 Grad fallen. Zu kalt für den Buschflieger, der mich morgen aus Eagle zurück nach Fairbanks in die Zivilisation bringen soll. Hoffentlich…
Heute ist der kürzeste Tag des Jahres, die längste Nacht. Sonnenwende, auch wenn hier am Yukon gerade nicht viel von ihr zu sehen ist. Die verschneiten Hügel am gegenüberliegenden Ufer werden zwar ein paar Stunden lang angestrahlt, ab 15 Uhr aber legt sich die eisige Nacht wieder übers weite Land.
Und dann beginnt das magische Schauspiel.
In grünen, roten und lila Schleiern tanzt das Polarlicht geräuschlos über den sternenklaren Himmel, vermischt sich mit den grellen Strahlen des Halbmondes. ‚Wahnsinn…‘, stammle ich in die Stille und ersticke meine Worte gleich wieder. Eigentlich unbeschreiblich, denke ich und schweige deshalb gebannt und ehrfürchtig.
Die Kamera klickt auf dem Stativ in kurzen Abständen, mein Versuch, die Magie einzufangen. Und doch werde ich kläglich scheitern. Diesen Moment allein in der klirrenden Kälte zu erleben, umgeben von nichts als Schnee, Eis und der Unendlichkeit der funkelnden Sterne, lässt sich nicht dokumentieren. Also genieße ich…
* * *
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An der Ostsee, im Baltikum, in der EU, in Putins Interessensgebiet: Dort liegt Lettland. Felicia Englmann versucht eine Positionsbestimmung in fünf Elementen.
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Sabrina on 22. August 2019
Toller Bericht! Sehr schön. Sehr hart! Nichts für Weicheier ;-). Gut gemacht. Was für eine Arbeit da draussen in der Kälte.