In der kleinen Ramnaberg-Hütte ist es ziemlich kalt, als wir uns am Morgen unseres dritten Tages aus den warmen Schlafsäcken schälen. Es kostet schon einiges an Überwindung, aus dem behaglichen Daunennest zu kriechen und den Tag zu beginnen. Als erstes starten wir den Ofen und ziehen uns lange Unterhosen und dicke Socken an. Auch die Mütze findet den Weg auf den Kopf, die Temperaturen sind während der Nacht stark gesunken.
Der Ofen bollert los, und ganz langsam macht sich behagliche Wärme breit. Schon bald sitzen wir gemütlich am Tisch, und ein dampfender Tee steht vor uns. Wir kommen schnell auf die Erlebnisse des gestrigen Tages zu sprechen, einen solchen Tag in Norwegen haben wir alle noch nie erlebt. Diese spektakuläre Überschreitung wird uns allen noch lange im Gedächtnis bleiben, wann läuft man schon einmal im Oktober bei Kaiserwetter über einen der größten Gletscher Norwegens?
Mittlerweile ist es so warm in der Hütte, dass die Fenster beschlagen. Bei Müsli und Kaffee kramen wir die Landkarten heraus und besprechen den Plan für den Tag. Wir wollen zu einer einsamen Hütte aufbrechen, die Luftlinie nur ein paar Kilometer entfernt direkt am Gletscher liegt und einen grandiosen Ausblick auf eine der Abbruchkannten des Hardangerjøkulens bietet. In direkter Strecke und ohne Höhenmeter wären es dorthin vermutlich weniger als zwei Stunden, aber wir müssen uns unseren eigenen Weg im Gelände suchen. Es gibt keinen markierten Weg mehr dorthin, dieser wurde vor ein paar Jahren aufgegeben, da er für ungeübte Wanderer zu gefährlich wurde.
Nach dem Frühstück stehen wir draußen vor der Hütte und putzen uns die Zähne. Wenn doch mein Badezimmer daheim solch einen Ausblick hätte, das wäre es!
Die Sonne kriecht über die Berge um uns herum. Die ersten Tage auf einer solchen Tour sind zumeist die anstrengendsten, es dauert immer einige Zeit, bis man sich wieder an die Belastungen einer Trekkingtour gewöhnt hat.
Wir packen unsere sieben Sachen zusammen und klaren die Hütte auf. Noch ein paar letzte Schnappschüsse, und es geht wieder los.
Zuerst steigen wir über ein großes Schneeband ab in ein schmales mit Gletschereis gefülltes Tal. Die Sonne begleitet uns beim Abstieg, lediglich die glitschen Felsen, die auf unserem Weg nach unten hier und da aus dem Schnee ragen, machen uns ein wenig zu schaffen. Das Schmelzwasser ermöglicht es schwarzen Algen, auf den Steinen Fuß zu fassen, und jeder, der einmal im Norden wandern war, weiß, dass diese Algen die Felsen in eine unglaublich glitschige Rutschbahn verwandeln.
Mit großer Vorsicht steigen wir in eine Landschaft ab, die uns direkt auf einen anderen Planeten katapultiert. Schroffe Felsen sind vom Gletscher mit tiefen Rinnen versehen worden, wir müssen uns den Weg mühsam über große Altschneefelder und brüchige Felskamine weiter abwärts bahnen.
Die Berge um uns herum stauen nun nasskalten Nebel zu einer grauen Wolkendecke, die Sonne verschwindet und wir ziehen unsere Mützen tiefer ins Gesicht. Es fängt zu allem Überfluss nun auch noch leicht zu nieseln an. Aber wir wollen tief eintauchen in die wuchtige Natur um uns herum. Keine Rekorde jagen oder Erstbegehungen schroffer Felswände versuchen, nein, das ungefilterte und pure Naturerlebnis steht bei dieser Tour im Vordergrund. Und so lassen wir uns die Stimmung vom düsteren Wetter um uns herum nicht vermiesen.
Wir schultern unsere Rucksäcke und treffen kurz darauf auf drei Wanderer, die uns entgegenkommen. Aus der Ferne waren sie kaum zu erkennen, aber nun stehen sie vor uns und berichten, dass eine der schönsten Hütten des norwegischen Wanderverbandes überhaupt auf uns wartet. Erwartungsvoll ob dieser Aussichten verabschieden wir uns und umrunden auf der östlichen Seite zwei Seen, den Øvre und den Midtre Demmevatnet.
Das Ufer ist hier viel flacher als gedacht, über weite Kiesbänke kommen wir problemlos voran. Den Talkessel mit den Seen verlassen wir über ein großes Schneefeld, das uns in Richtung des Gletschers führt. Über nasse Felsen und kleinere Schneefelder geht es weiter, kurz versteigen wir uns und werden mit erhöhtem Pulsschlag und einem abenteuerlichen Abstieg hin zu einem Bach belohnt.
Das war mehr Abenteuer als gedacht!
Nachdem wir den Bach über rutschige Felsplatten überquert haben, steigen wir steil einen Felsrücken hinauf. Uns ist völlig schleierhaft, wo der alte Weg uns hinführen soll, aber wir folgen den wenigen verblichenen Markierungen, die wir entdecken können. Das Tal öffnet sich nun weit, und tief unter uns befindet sich der See Nedre Demmevatnet in den am Tal-Ende der Gletscher kalbt. Was für ein fantastischer Ausblick!
Leserpost
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Simon on 2. Oktober 2016
Die Erinnerungen an die Tage dort im Fjell sind nun dank dieser Episode wieder lebendiger denn je zuvor! Ich war schon viele Tage wandernd in Norwegen unterwegs, aber diese Woche zusammen mit Martin und Chris war einfach ganz besonders. Das Wetter war unglaublich gut und die Tour einfach ein Traum. Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich während dieser Woche sammeln durfte. Noch oft denke ich sehnsuchtsvoll an die Zeit dort zurück. Hilsen fra Simon
Peter on 4. Oktober 2016
Hallo Simon,
ja, einfach schön, die Bilder anzuschauen und den Text zu lesen. Herrlich.
Viele Grüße
Peter von der Olavsbu
Simon on 5. Oktober 2016
Hei Peter,
vielen Dank für deine Worte! Das freut mich sehr zu hören. Vielen Dank auch für das unverhoffte Treffen auf der Olavsbu Hütte in Norwegen, das war richtig schön. Bis demnächst mal!
Viele Grüße
Simon
Andreas Laue on 14. Dezember 2016
Hallo ihr drei,
was für ein gefühlvoller Bericht von euch. Mit „Rest der Stille“ habt ihr die Seele der norwegischem Natur nicht besser beschreiben können. Beim Lesen steigt der Puls und die Lust, selbst bald wieder die Wanderschuhe zu schnüren bzw. die Ski unter die Füsse zu schnallen. Als langjähriger Norwegen – Enthusiast kann ich eurer Begeisterung für eines der schönsten Länder der Welt nur folgen. Weiterhin God tur! Vielleicht treffen wir uns ja mal in Norge. hilsen Andreas
Simon on 6. Januar 2017
Moin Andreas,
vielen lieben Dank für deine wunderbare Rückmeldung zu unserer Tour. Ja, die Begeisterung ist ungebrochen und steigt von Tour zu Tour, es ist einfach so unglaublich schön dort. Würd eich sehr freuen, wenn wir uns einmal über den Weg laufen würden!
Dir auch god tur videre!
Hilsen fra Simon
Horst on 26. Dezember 2016
Servus Martin, Simon und Christian!
Ein wirklich grenzgenialer Bericht – absolut klasse geschrieben! Als langjähriger Norwegen-Fan (war 7x oben) kenne ich dieses Gefühl der Stille. Herzlichen Dank an euch, dass ihr mir für ein paar Minuten Norwegen in mein Haus gebracht habt!
Have fun
Horst
Simon on 6. Januar 2017
Moin Horst,
vielen lieben Dank! Es freut uns wirklich sehr zu hören, dass dir der Bericht so gut gefällt und wir dich mit nach Norwegen nehmen konnten!
Hilsen fra Simon
Sara on 4. Oktober 2019
Moin,
Ich habe schon lange nicht mehr etwas solch Mitreißendes gelesen. Es hat mich komplett dort hin versetzt auf eine magische Reise! Ich war selbst in Norwegen und bin von Geilo nach Finse gewandert.
Diese detaillierte mit Herz geschriebene Geschichte macht mir Mut sowas auch und noch mal zu machen. Die kurzen Videos sind wirklich toll!!
Liebe Grüße aus Hamburg