Es regnet. Er trommelt auf das Dach und rauscht in den Bäumen. Gierig nehmen Büsche und Bäume, ihre in diesen Tagen erwachenden hellgrünen Knospen und Blüten die Nässe auf und danken es mit einem Duft, der die Luft mit holzigen und blumigen Parfums benebelt.
Ich liege noch im Bett, blicke hoch zu den Holzbalken der Decke und frage mich, ob das wohl dichthält. Es ist gemütlich in meinem kleinen Zimmer mit den rustikalen, unverputzten Steinwänden. Es stört mich nicht, dass es regnet.
Ich habe in den vergangenen Tagen auf meinen Spaziergängen Kontakt aufgenommen zur Natur.
Ich habe wilden Knoblauch probiert, Borretschblüten gegessen und Rosmarin für die Küche mitgenommen. Kirschblütenbäume, Mandelbäume, Pinien und Oliven, Feigen und Orangenbäume, sie alle flüsterten mir zu: ‚Schön wäre es, wenn es ein wenig regnete, denn wir müssen mit dem auskommen, was es im Frühling niederschlägt. Dann folgen viele Monate der Trockenheit.’
Einmal bin ich auf einer Lichtung stehen geblieben und machte ein paar Yogaübungen im Stehen. Als ich im „Baum“ stand, eine Position, wo man auf einem Bein steht, das andere angewinkelt und die Arme zum Himmel gestreckt, stellte ich mir vor, ich sei tatsächlich einer dieser Bäume. Ich suchte mir eine ziemlich schräge Pinie aus und nahm die gleiche Position ein, reckte den linken Arm analog zu seinem hervorstechendsten Ast nach schräg unten und den rechten steil nach oben. Stellte mir vor, wie aus meinen Füßen Wurzeln in das Erdreich wachsen.
Wie ist das Leben als Baum?
Wie ist es, morgens bei Sonnenaufgang hier zu stehen und nur diesen einen Blickradius zu haben, immerzu, den ganzen Tag, bei Kälte und Hitze, bei Regen und Sonne, immer nur diesen Wirklichkeitsausschnitt, ein ganzes Leben lang. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Jahr für Jahr. Die Pinie kommt auf 200 bis 250 Jahre. Der älteste Olivenbaum ist 4000 Jahre alt.
Ich stand eine ganze Weile so, atmend und Kontakt aufnehmend mit den umliegenden Bäumen und Pflanzen. Je länger ich stand, desto vielfältiger wurde das, was in meinem Blickfeld lag. Ich entdeckte immer mehr Details, die mir zuvor verborgen geblieben waren: Hier eine winzige Orchideenblüte am Boden zwischen den Gräsern, dort ein Baumstamm, der ein Gesicht zu haben schien, unendlich viele verschiedene Grüntöne um mich herum. Und der Boden war nicht mehr einfach eine Fläche, es war ein Reich, ein Erdreich, mit Bergen und Tälern, Schluchten und Senken, eine ganze Landschaft zu meinen Füßen, nie gesehen, obwohl ich täglich hier vorbei gegangen war. So also fühlt sich Stillstand an, so bewegt und detailreich, ein Mikrokosmos, wo alles mit jedem verbunden ist, so also fühlt sich Leben an, wenn wir es zulassen, wenn wir hinein horchen, wenn wir selbst zum Baum werden.
Deshalb freue ich mich auch über den Regen, jetzt, wo ich Baumerfahrung habe. Hoffentlich hält die Freude an, denke ich, dann stehen mir glückliche Zeiten in Deutschland bevor.
Auf Ibiza ist Regen Mangelware. Ab April regnet es monatelang nur noch Touristen, rund vier Millionen in einer Saison. Sie duschen nach dem Aufstehen und vor dem Essen, sie planschen im Pool, trinken Tee und Kaffee, sie wollen frische Bettwäsche, möglichst täglich, pikobello gewaschene Leihautos und schöne grüne Gärten, die zwei Mal täglich gewässert werden. Der Grundwasserspiegel sinkt rapide und jetzt wird es eng für alle, die nicht am öffentlichen Wassersystem hängen. Also vor allem für die, die auf dem Land leben. Die Bauern und die Hippies.
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Leserpost
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monica blok on 2. Juni 2016
I loved Gitti Muller’s travel episode on Ibiza and the older generation of foreigners living there. It’s interesting to see how people from the ‚hippy generation‘ live there with a very definite philosophy of life, and that they are able to survive there still, on this island which is also a place which is the opposite of everything they believe in. Here we see the other side of Ibiza, which is more sober, where people are still searching their souls and trying to live a life protecting their surroundings, not only partying and consuming for a short period and then leaving the mess behind. It makes one sad to think that this part of Ibiza is becoming more and more extinct, that the people trying to protect the island are often driven away because of the high cost of living. All these thought came to me while reading this piece and looking at the peaceful videos and photographs. It made my heart want to go back there soon, to enjoy it while there is still this ‚hippy energy‘, a light-heartedness and the possibility of a simple life in beautiful nature (if even for a short while). Thanks, Gitti, for reminding me.
gitti on 2. Juni 2016
Thanks Monica! I m sure you ll still find peace and lovely surroundings on the island. Enjoy!
petra on 20. Juli 2016
gefällt mir sehr gut!
gitti on 29. Dezember 2016
das freut mich
Hajo Müller on 29. November 2016
Hallo Gitti,
habe eben Deine neue Homepage angeschaut (sie gefällt mir sehr gut) und bin beim Bericht von Ibiza hängen geblieben. Deine kurzen Geschichten und Interviews von den Menschen dort haben mich sehr berührt. War selbst 1975 zum ersten Mal auf Ibiza und habe im Norden auch ein paar Hippies getroffen. Auch einige sehr einfach im Landesinneren lebende Bauern durfte ich kennenlernen. Werde nie die sehr alte Frau vergessen, die mich spontan auf der Strasse zu sich nach Hause auf einen Kaffee einlud und mir auf Fotos ihre ganze Familie zeigte, die alle woanders lebten. Ihr wehmütiger Satz: „En otros lugares, sin duda es hermosa“ klingt mir heute noch in den Ohren. Damals hatte ich auch die Idee, in Ibiza leben zu wollen, mir hat aber der Mut gefehlt, es zu wagen. Wer weiß was für ein Mensch ich heute wäre…
Danke jedenfalls, dass Du mich daran erinnert hast.
Nächstes Jahr im Frühjahr Segele ich von Mallorca aus wieder nach Ibiza und um die Insel herum. Bin gespannt, wer und was mir diesmal begegnet.
gitti on 29. Dezember 2016
Hallo Hajo,
1975 hättest du auf jeden Fall noch günstig eine alte Steinfinca kaufen können. Aber ein Segelboot ist auch nicht schlecht. Viel Spaß auf Ibiza, da gibt es sehr schöne kleine Buchten. Liebe Grüße
Benjamin Diedrich on 21. Januar 2017
Ein wundervoller Schreibstil hielt mich an zum weiterlesen, des Ibiza Berichts!
Du hast mich zum Nachdenken und schmunzeln angeregt!
Vielen lieben Dank für deine Liebe an diese Insel – Ibiza !
Leo on 7. Mai 2017
Hallo Gitti, wunderschöner Bericht! Darf ich fragen wie du auf diese Finca gekommen bist? Über Airbnb? Wäre sehr nett wenn du ein paar mehr Details verraten würdest ;) Ganz herzlichen Dank schon einmal und viele Grüße!
Hank Watahomigie on 4. Juni 2017
Toller Beitrag! Ich würde mich wirklich freuen noch öfter neue Posts hier zu lesen! :)
Tommy on 8. August 2017
Wow, ein sehr schöner Bericht mit tollen Fotos und Videos.
Habe ihn gleich mal in meinem neuen Ibiza-Blog vorgestellt.
http://www.tommy.de/2017/08/08/das-ibiza-der-hippies-frau-mueller-steigt-aus/
LG Tommy
Ibiza Magic on 7. November 2017
Schöne Story und tolle Fotos. Deshalb habe ich es mal in meinem Blog geteilt.
Erika on 10. November 2017
Hola Gitti, durch Zufall habe ich dein tolles Buch gelesen und deine Reportagen in Süd-Mittelamerika haben mich hell begeistert.
Ich habe nach der Pensionierung alles zusammen gerafft und konnte somit jedes Jahr als Packpäkerin, in Hostels für einige Monate, in Südamerika, überleben. 14Mal war ich dort. . Ich träume und lebe immer noch von jener glücklichsten Zeit meines Lebens.
Die Orte du die beschreibst, erlebe ich wieder im Geist mit Farben. Danke für deine Reportagen. Erika
Tim on 25. Januar 2020
Great article about Ibiza. It is actually really beautiful island, behind all the party madness and drunk tourists, you can find so many hidden gems. Magical beaches, great trekking trips, friendly local people, authentic restaurants hidden in small villages. Just rent a car and go and discover the other side of Ibiza.