Vietnam
Lost in Vietnam
Es ist schwierig, dem Backpacker-Pauschaltourismus zu entkommen. Philipp Laage macht eine Reise nach Vietnam – und zu den eigenen Unzulänglichkeiten.
„If you seek paradise, go to Jena“, titelte bereits Anfang 2006 die britische Zeitung The Economist. In Deutschland ist man sich da noch nicht so sicher. Ariane Kovac findet: Zu unrecht!
„Ach, Sie sind ja schon im sechsten Semester, so lang müssen Sie’s dort ja nicht mehr aushalten!“, bekam ich während eines Praktikums in Berlin mitfühlend zu hören. „Jena?! Ist da eigentlich auch was los?“, fragen Schulfreundinnen, wenn ich ihnen von meinem Wohnort erzähle.
Dabei ist es doch eigentlich schwer zu übersehen, das große Schild „Paradies“, das am Bahnhof prangt.
Wer in Jena ankommt, der landet direkt im Paradies, ohne Umwege. „Das hatte ich mir aber anders vorgestellt“, mag man auf den ersten Blick denken. Und sich auf den zweiten Hals über Kopf in Jena verlieben – und nie wieder weg wollen. Bis sich irgendwann dann doch der Kleinstadtkoller einstellt, trotz Großstadtstatus.
Jena, das ist der Blick aus dem vierten Stock der Unibibliothek über die umliegenden Berge, der grüne Landgraf, der markante Jenzig, die schroffen Kernberge. Das sind spontane nächtliche Besuche bei den besten Freunden, das ist der Kuss unter der Camsdorfer Brücke, der Sprung in die Saale, der Geruch nach Gras im Garten des Café Wagner. Das Anstehen bei Fritz Mitte, der Blick auf den hässlichsten aller Türme, das Sternschnuppengucken auf dem Flachdach des Wohnheims.
Jena, das ist, wenn auf deiner WG-Party ein unbekanntes Fahrrad auftaucht, das dein besoffener Mitbewohner von der Straße geklaut hat, um ein paar Runden im Flur zu drehen, und der Besitzer am nächsten Tag zum Abholen Kaffee mitbringt. Jena, das ist, wenn du nachts um fünf beim Feiern mit deinem Dozenten anstößt, wenn du auf dem Weg von deiner Wohnung zum Campus zehnmal für Smalltalk anhalten musst, wenn du auch alleine auf Partys gehen kannst, weil du immer überall jemanden triffst –
Jena ist eben, wenn jeder jeden kennt.
In Jena zu sein, in Jena zu studieren, hat mich in meine Kindheit zurückversetzt. Bei mir gibt es da diese vage Erinnerung an Zeiten, in denen Handys und Internet noch nicht nötig waren. Wenn man etwas unternehmen wollte, lief man einfach nach draußen und schaute, ob jemand auf der Straße spielte, und wenn nicht, klingelte man eben an der Nachbartür.
In Jena funktioniert das ganz ähnlich, denn irgendjemand, den man kennt, sitzt immer gerade prokrastinierend auf dem Campus, frustriert in der Bibliothekscafeteria oder entspannt im Botanischen Garten. Bei Freunden kann ich oft spontan vorbeischneien oder mich selbst zum Mittagessen einladen. Fast alles in der Stadt lässt sich in zehn bis zwanzig Minuten fußläufig erreichen, öffentliche Verkehrsmittel sind mir fremd geworden.
Auch, wenn ich es oft nicht wahrhaben will oder als selbstverständlich betrachte: Immer, wenn ich aus Jena weg bin, stelle ich fest, wie gut ich es hier habe. Jena ist die Hochburg des Unkomplizierten. Hier muss ich keine Busfahrpläne studieren oder hunderte Optionen abwägen, hier muss ich mir keine Stadtteilnamen merken oder große Pläne für meinen Tagesablauf schmieden, hier kann ich einfach leben. Schon Schiller sagte vor ein paar Jahrhunderten, dass „man nirgends eine so wahre und vernünftige Freiheit genießt und in so kleinem Umfang so viele vorzügliche Menschen findet“ wie in Jena.
Da kann ich ihm nur zustimmen – Freiheit, Ungezwungenheit, Leben, das ist Jena für mich, und ich bin selbst überrascht, dieses Gefühl in so einer kleinen Stadt in so einem kleinen Bundesland gefunden zu haben. Das, was Jena an schönen oder interessanten Gebäuden, an Weltbedeutung und gutem Ruf fehlt, macht es mit Atmosphäre wieder wett.
Vielleicht ist auch das ein Zeichen des Paradieses: Man erkennt es nicht von außen, sonst wäre es ja wohl völlig überlaufen.
Stattdessen ist es einigen Wenigen vorbehalten, die es schaffen, sich darauf einzulassen und die verborgene Schönheit zu erkennen.
Jena ist auch: alternativ, entspannt. Hier geht man in Turnschuhen feiern und in Jogginghose in die Uni. Im Sommer sitzt man vor der ausverkauften Kulturarena auf dem Boden und niemand stört sich daran, wenn aus dem Campus nachmittags ein Flunkyball-Turnierplatz wird. Man sagt, was man denkt, man diskutiert viel, manchmal auch ein bisschen zu viel. Und natürlich: die Natur! Wo auch immer man ist, man hat den Ausblick auf die Berge, pardon, das Hochplateau rundum. Ich wohne fast direkt in der Stadt und brauche trotzdem nur fünf Minuten, um mitten im Grünen zu stehen. Nochmal fünf Minuten und die Stadt gleicht auf einmal einem Dorf.
Wer möchte, kann jeden Tag auf einen anderen Berg klettern und jedes Mal einen anderen fantastischen Ausblick genießen, oder einfach die Saale-Horizontale, ganze 100 Kilometer, abwandern. Und im Sommer ist die Saale, die sich mitten durch die Stadt schlängelt, vergleichsweise flach, sauber und ohne starke Strömung, das ideale Ziel für einen Badenachmittag oder einen Schlauchbootausflug.
Etwa 100.000 Einwohner, immer ganz knapp Großstadtstatus, davon 25.000 Studenten – man kennt sich, und irgendwann hat man das Gefühl, jede und jeden zu kennen. So schön das auch ist, sich unter bekannten Gesichtern zu fühlen, die meisten Jenaer bekommen irgendwann das Gefühl, niemand Neuen mehr zu treffen, und wollen raus, in eine größere, bekanntere Stadt, in der man vielleicht auch mal von Arbeit spricht und nicht nur von Studium.
Jena ist für den Großteil nur eine Zwischenstation, drei Jahre Bachelor oder zwei Jahre Master, kaum einer der Studenten stammt von hier. Das ist schön, weil am Anfang jeder neu ist und alle offen auf andere Menschen zugehen, aber auch schade, wenn man wie ich am Ende seines Studiums angekommen ist und auf einmal ganz viele Leute verabschieden muss.
Mein Loblied auf Jena singe ich natürlich auch deshalb, weil ich so viele wunderbare Leute hier getroffen habe. Auch für mich ist es bald an der Zeit, weiterzuziehen, und ich weiß, ich werde mit einem glücklichen, neugierigen, aber vor allem mit einem weinenden Auge gehen.
Es ist so eine Sache mit dem Paradies, irgendwann hat man sich daran satt gesehen und wünscht sich eine neue Herausforderung.
Doch wenn man es verlässt, wünscht man sich wahrscheinlich schon sehr bald wieder dorthin zurück.
* * *
Meine Lieblingscafés in Jena sind das Immergrün und das Grünowski. In Letzterem kann man auch richtig gut essen und es gibt einen wunderschönen Garten.
Abends bieten das Café Wagner und das Kassablanca Veranstaltungen wie Konzerte, Poetry Slams, Kino- oder Spieleabende.
Wer in Jena war, muss eine Pommes bei Fritz Mitte gegessen haben – dass man dort mittags auch mal eine halbe Stunde in der Schlange steht, gehört quasi dazu.
Und wer immer schon einmal essen oder trinken wollte wie vor dreißig Jahren, der kann in der Kneipe „Wartburg“ DDR-Atmosphäre erleben. Nicht vom unfreundlichen Besitzer oder den handgemalten Deko-Plakaten abschrecken lassen, sondern einfach ein Jägerschnitzel und ein Bier bestellen – und sich vielleicht noch einer Skat-Runde anschließen.
Die Wartburg ist auch eine wunderbare Oase, wenn man vom ganzen alternativ-veganen Studentenflair die Nase voll hat.
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Wie schmeckt eigentlich der Wald hinter meinem Haus? Welche wilden Aromen findet man in seinen Bäumen und welche wundervollen Gerichte kann man in der eigenen Küche aus ihnen zaubern? Von Artur Cisar-Erlach
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Leserpost
Schreib uns, was Du denkst!
MaxPower on 2. Dezember 2015
Seit wann ist Rolf, der Besitzer der Wartburg, ein unfreundlicher Gastgeber?
Die Spezialität des Hauses ist übrigens Haxe mit Bratkartoffeln, also nicht von diesem Text abschrecken lassen und bei Rolf reingucken, mit ein bisschen Glück lädt er euch auch auf einen kleinen Absacker ein :)
Ansonsten finde ich den Text sehr gelungen, aber ich glaube gerade der Paradiespark und die sommerliche Schönheit Jenas kommen ein wenig zu kurz.
Rini on 3. Dezember 2015
Hey Ariane,
keiner hätte schönere und treffendere Worte finden können als du. Du sprichst nicht nur mir, sondern vielen vielen weiteren hoffnungslos Jena-Verliebten aus der Seele. Danke, dass du unsere Gedanken mit allen geteilt hast und uns weniger talentierten die Möglichkeit einer öffentlichen Liebeserklärung an unsere kleine Jenaer Blase gibst.
Liebsten Gruß
RokkoRehbein on 10. März 2016
Hey,
der Text passt, muss nur auch eine Lanze für Rolf, den Chef der Wartburg, brechen: total entspannter, freundlicher Mensch, mit dem man immer quatschen kann. Also: einfach nett ansprechen und gebratene Klöße mit Gulasch bestellen:) Dazu ein Bier und der Abend ist perfekt!
Lu on 30. Juni 2016
Liebe Ariane,
jeder, der seine Studienzeit in Jena verbracht hat oder gerade verbringt, wird ganz genau wissen wovon du sprichst und es vermutlich genauso empfinden. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich meine Zusage fürs Studium in Jena erhalten habe. Mein erster Gedanke war: Verdammte Axt, warum denn ausgerechnet diese beknackte Stadt, mit dem hässlichen Neubauviertel direkt an der Autobahn. Und dann war ich da. Ein paar Tage, vielleicht Wochen und es war um mich geschehen. Als ich nach ca. fünf Jahren wieder gegangen bin, tat ich das definitiv mit einem weinenden Auge. Ich denke noch immer gern an die Zeit in Jena und die wunderbaren Leute, die auch ich dort getroffen habe. Deine Worte „ich wohne fast direkt in der Stadt und brauche trotzdem nur fünf Minuten, um mitten im Grünen zu stehen.“ benutze ich selbst auch, wenn ich beschreiben soll, was unter anderem an dieser Stadt so toll ist. Das Paradies habe ich allerdings ganz schön oft verflucht. Immer dann, wenn mir im ersten Jahr der Zug vor der Nase weggefahren ist und ich wieder eine Stunde auf dem Bahnsteig rumstehen musste, um ins Nachbardorf zu kommen.
Grüß Jena von mir, wenn du da bist.
Lu
Ed on 29. Juli 2016
Ein Träumchen von einem Text! Sehr sehr schön getroffen :)
Liebe Grüße
Edgar
Gava on 8. Januar 2021
Very amazing blog!! Keep writing…